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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Nesseln und Brombeeren wucherten   – sie wurden absichtlich nicht gestutzt (damit kein Idiot dort parken würde, wie Michael zu sagen pflegte)   – jetzt asphaltiert war. Sie war sogar auf beiden Seiten des Gatters jeweils mit einem Viertelkreis niedriger Bordsteine eingefasst. Und auf der anderen Seite des Gatters konnte man sehen, dass der ganze Weg, der den Hügel hinunter den Blicken entschwand, ebenfalls befestigt worden war. Über die Kosten dafür konnte Jack nur mutmaßen.
    Das war jedoch nicht sein erster Gedanke. Er stieg aus und stellte sich ans Tor. Er hatte den Motor laufen und die Tür offen stehen lassen, unsicher, ob der Grund dafür der war, dass er vorhatte, das Gatter zu öffnen und auf das Grundstück zu fahren, oder dass er in wenigen Sekunden kehrt machen und eilig davonfahren wollte. Das Tor hatte kein Vorhängeschloss. Es war ein andere Sorte Tor. Der Kasten mit der Verriegelung ließ ein kompliziertes System vermuten, vielleicht ein über eine Fernbedienung kontrolliertes Schließsystem, und eingebaut in denrechten Torpfosten   – so dick und säulenartig, wie Pfosten sein können   – war ein kompliziert wirkender Metallkasten, entweder mit einer Sprechanlage oder einem Schloss mit Zahlencode oder beidem.
    Das Ding konnte also vom Haus aus entriegelt werden, dachte er, vielleicht sogar auf- und zugemacht werden. Die Robinsons, so erinnerte er sich, hatten eine Menge über »Sicherheit« wissen wollen. Er hatte ihnen nicht viel erzählen können.
    Er stand am Tor und hatte ein bisschen Angst, es zu berühren. Die Luft um ihn herum war klar und still, trotzdem schien ein schwacher und dabei besonders kalter Luftzug auf dem schattigen Pfad zwischen den beiden Hecken heraufgesaugt zu werden. Weiter unten waren Krähen zu hören. Die waren im Brinkley Wood.
    Vermutlich waren die Robinsons nicht da. Dies war ihre Sommerresidenz, und jetzt war November. Oder ihr Wochenendhaus, und jetzt war Freitagmorgen. Jedenfalls stellte er sich vor, dass sie nicht da sein würden. Jetzt auf keinen Fall. Sie hätten die Zeitung gelesen, sich ihren Reim drauf gemacht und   – falls sie eigentlich vorhatten, an diesem Wochenende herzukommen   – jede unbequeme Assoziation mit dem Haus, das sie gekauft hatten, zu meiden gesucht. Eine Beerdigung im Dorf. Mit ihnen hatte das nichts zu tun.
    Bestimmt waren sie nicht da. Sie waren in ihrem anderen Haus, ihrem eigentlichen Zuhause, in Richmond (in Jacks Ohren hatte es wie ein Ort geklungen, wo reiche Leute wohnen, und er hatte sich den Namen gemerkt).
    Es gab also theoretisch nichts, was ihn daran gehindert hätte, das Tor zu öffnen und den Weg entlangzufahren.Außer die verkabelte Falle des Tores selbst. Außer, falls er es durch das Tor schaffte, ein mögliches Minenfeld von Alarmanlagen entlang des Fahrwegs. Aber wer würde ihm einen Vorwurf machen, an diesem Tag besonders, wer würde ihm gesetzeswidrige Absichten unterstellen? Unbefugtes Betreten, Eindringen in fremdes Eigentum? Wo es doch sein Geburtsrecht war?
    Und sollte sich das Tor einer Öffnung widersetzen, gab es immer noch die Möglichkeit   – obwohl er dann das Auto auf der Straße stehen lassen müsste, wie einen überdeutlichen Hinweis auf seine Anwesenheit   –, dass er über das Tor kletterte und zu Fuß den Fahrweg entlangging. Tore waren dazu da, dass man über sie hinwegkletterte. Und wenn die Robinsons doch   – ein unwahrscheinlicher Zufall   – da sein sollten   – na und? Dann wäre es eine Überraschung. Würden sie die Polizei rufen? (Die Polizei, das hieße Ireton.) Ich bin Jack Luxton. Erinnern Sie sich? Ich habe Ihnen das Haus verkauft. Ich kam gerade vorbei und dachte, ich   … Ich habe gerade meinen Bruder beerdigt.
    Es gab also nichts, was ihn aufhalten konnte. Er stand am Tor und legte die Hand auf die Sprosse, erstmal nur die Fingerspitzen. Seine Hände umspannten die schwarzen Buchstaben des Namens auf der obersten Sprosse. Wieder spürte er das Holz von dem Sarg an seinen Handflächen.
    Tom wäre über das Tor geklettert, da hatte Jack keinen Zweifel, hätte erst seinen Rucksack rübergeworfen, wie ein Dieb. Aber an jenem strahlenden Morgen damals, ganz ähnlich wie dieser jetzt, hatte er, der große, folgsame Bruder, für seinen Vater das Tor geöffnet und es dann, bevorer sich wieder zu seinem Vater in den Wagen setzte, geschlossen, während ihn, trotz der kalten Luft, ein glühend heißer Rausch durchströmte.
    Er stand da, in seinem Beerdigungsanzug,

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