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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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klopfendem Herzen, zum Barton Field gehastet war, hatte er auf dem Treppenabsatz gestanden, die Tür zum großen Schlafzimmer offen stehen sehen und war hineingegangen.
    Es war kein Schlafwandeln. Mit Sicherheit nicht. Er hatte das Licht nicht angeschaltet, trotzdem hatte er die zusätzliche Decke am Fußende gesehen. Ja, der Mond stand zu der Zeit am Himmel, und trotz der Kälte waren die Vorhänge nicht zugezogen   – oder vielleicht kürzlich zurückgezogen worden. Er konnte also, nur mit Hilfe des Mondlichts, das Schottenmuster auf der Decke erkennen.
    Aber mehr noch. Er war in das Zimmer hineingegangen   – vielmehr in seinem Traum war er hineingegangen. Und er hatte am Fenster gestanden, wo sein Vater, wer weiß, nur Minuten zuvor gestanden hatte, und das gesehen, was sein Vater gesehen haben musste: den Mond über der Eiche und dem frosterstarrten Tal. Aber mehr noch. Er war gerade rechtzeitig gekommen, um sie von oben und von hinten zu sehen   – oder er hatte sie in seinem Traum gesehen   –, die große, dunkle Gestalt seines Vaters, erst seinen ganzen Körper, dann die Schultern und den Kopf, langsam verschwindend, als er vom oberen Teil des Barton Field nach unten ging. Es war beinahe Vollmond, und das Mondlicht wurde hell vom Raureif zurückgeworfen. So war es sogar möglich, den tintenschwarzen nächtlichen Schatten seines Vaters aus dem Sichtfeld verschwinden zu sehen, hinter ihm her, den Abhang hinunter, und die Fußabdrücke zu sehen,wie schwarze Brandflecken auf weißem Stoff, die er hinterließ.
    Und auch zu sehen, was er bei sich hatte.
    Und Jack hatte sich nicht gerührt. Er hatte am Fenster gestanden   – so wie er Jahre später an einem weiß gestrichenen Tor gestanden hatte   – und gedacht: Soll ich? Oder nicht? Er hatte gedacht: Wird er es tun? Oder doch nicht? Kann ich? Oder nicht?
    Er hätte nicht sagen können, wie lange er da gestanden hatte (was auch auf andere Phasen in der Nacht zutraf), als wäre er hypnotisiert, als wäre er in seiner Vorstellung   – aber träumte er nicht ohnehin?   – noch im Bett und schlief und wüsste nicht, dass all dies wirklich passierte. Bis der Hall des Schusses   – oder hatte er sogar die kurz aufflackernde Helligkeit gesehen?   – ihn weckte, aus allen Träumen heraus, in die Wahrheit.
    Aber von alldem konnte Ellie nichts wissen.
     
    »Wie willst du wissen, dass ich es nicht getan habe, Ell? Wie willst du wissen, dass ich ihn nicht gezwungen habe, mit mir zur Wiese runterzugehen, und es so gemacht habe, dass es aussah, als hätte er selbst es gemacht?«
    Es überraschte ihn nicht   – obwohl er nicht damit gerechnet hatte   –, dass sie an dem Punkt einfach aufgestanden war, ihre Handtasche genommen und schnell nachgefühlt hatte, ob ihre Schlüssel drin waren. Hatte sie ausgesehen, als hätte sie Angst? Vor ihm   – oder um ihn? Nein, sie hatte wütend ausgesehen. Und ein bisschen wahnsinnig. Wenn er da schon das Gewehr gehabt hätte, dann hätte er sie vielleicht aufgehalten, er hätte es da, auf der Stelle, beenden können, wie beabsichtigt.Aber sie stand zwischen ihm und der Tür, wie hätte er da das Gewehr holen und laden können, ohne dass sie erst entkommen wäre?
    Er hätte das Gewehr gleich holen sollen. Er hätte sich nach unten schleichen sollen, so wie sein Dad sich nach unten geschlichen hatte, hätte sich das Gewehr aus dem Schrank holen und laden sollen (beide Läufe), noch bevor sie gerufen hatte, dass sie Frühstück machen würde. Er hätte einfach in die Küche kommen sollen, im Bademantel, mit dem Gewehr. Aber so hätte er es nicht tun können, das wusste er, nicht ohne eine Explosion vorweg.
    Eigentlich war es also gut   – dachte er jetzt   –, dass es diese Explosion gegeben hatte und sie weggefahren war.
    Sie hatte die Autoschlüssel in der Hand gehalten. Einen Moment lang hatten sie sich angestarrt, nicht wie zwei Menschen, die sich ihr Leben lang gekannt hatten, sondern wie zwei namenlose Feinde, die sich plötzlich in einer Lichtung gegenüberstanden. Jack begriff, dass er, wollte er Ellie am Weggehen hindern, seine Körperkraft gegen sie einsetzen musste, sein Gewicht gegen ihres. Doch das hatte er nie getan, in all der Zeit nicht, die sie sich kannten, und er konnte es jetzt auch nicht. Trotzdem, wenn er das Gewehr gehabt hätte   …
    »Wo willst du hin, Ell?«
    Draußen ballten sich die Wolken zusammen, aber es hatte noch nicht angefangen zu regnen.
    »Wo ich hinwill? Wo ich hinwill? Ha!

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