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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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harte Arbeit leisten. Alles drehte sich darum, das Land in viele Liter guter Milch zu verwandeln, so viele wie möglich. Und alles drehe sich darum, wie Michael mit einem in die Breite gezogenen Gesicht gern sagte, als Vera noch da war, und dann besonders in ihrer Hörweite, dass alle Männer den Weibern der Spezies unterworfen seien. In Wirklichkeit seien sie alle echte Milchbubis.
    Jeder einzelne Kadaver, der nach Ausbruch des Rinderwahns abgefahren wurde, bedeutete potenziell eine Entschädigung vom Ministerium. Doch da hatte man nicht die Langsamkeit oder vielmehr die unverblümten Ausweichmanöver der Bürokratie eingerechnet, noch dieschlichte Tatsache, dass es nicht viel gab, womit man die Lücke hätte füllen können. Nicht ein einziges Tier ihrer Herde war jemals diagnostiziert worden. Begriffe wie »Verdacht auf« und »Restrisiko« wurden verwendet. Die Tiere konnten nicht entfernt, mussten aber gefüttert werden. Auch die Milch konnte, anfangs zumindest, nicht abgeholt werden, obwohl die Tiere gemolken werden mussten. Und dann waren sie fast alle (von ein paar frisch geborenen Kälbern abgesehen) abgeholt worden   – als Kadaver. Die Farm eine Geisterfarm, der Verlust all der auf Weiden gehaltenen Gesellschaft ein merkwürdig schmerzlicher Verlust. Kein Milchfluss, kein Geldfluss, und herzlich wenig auf der Bank. Und das herzlich Wenige, so der Eindruck, den er und Tom aus dem Schweigen ihres Dads gewannen, gehörte nicht einmal ihnen. Dazu die Frage, wann sie wieder aufstocken sollten und sicher sein konnten, dass die Kosten und Bemühungen nicht vergebens sein würden.
    Tom hatte nicht auf die endgültige Abrechnung gewartet. Trotzdem konnte man nicht sagen, dass er impulsiv gehandelt hätte. Im Grunde hatte er bis zu seinem achtzehnten Geburtstag gewartet   – obwohl er sich schon mit sechzehn hätte melden können, dann allerdings nicht ohne die Mitsprache anderer. Und man konnte nicht sagen, dass es eine schlechte Entscheidung war. Er hatte gesehen, aus welcher Richtung der Wind wehte.
    Und warum war er, Jack, nicht als Erster auf die Idee gekommen? Sich aus dem Staub zu machen. Es war ihm einfach nie in den Sinn gekommen. Und warum hatte es ihn nicht gestört, als Tom sagte, ihm ginge es schon eine Weile im Kopf herum, seit über einem Jahr? »Das erzähleich nur dir, Jack.« Als würde es dadurch zu einem Pakt, den sie gemeinsam geschlossen hatten, und als wäre es Jacks Aufgabe, Tom für seinen Abgang Rückendeckung zu geben. Und sich hinterher von Dad die Vorwürfe gefallen zu lassen, natürlich, sich das anzuhören und nichts zu sagen, wochenlang, monatelang nichts, Unwissenheit vorzuschützen, den Mund verschlossen zu halten, als wäre er selbst ein guter Soldat, und erst viel später etwas zu sagen, weil er dachte, sein Vater müsste es ohnehin erraten haben   – welche Möglichkeiten hatte ein junger Mann?   – und weil die Chance, dass sein Vater Tom zurückbekommen würde, so gut wie nicht existierte.
    Nein, er wusste nicht, wo Tom war. Was ja nur der Wahrheit entsprach. Denn Tom war in der Armee, und wer wusste schon, wo die Armee war? Catterick? Salisbury Plain?
    Alles Gute, Tom. Als würde Tom für sie beide fliehen.
    Warum hatte es ihm nie etwas ausgemacht? Warum hatte er die meiste Zeit gar nicht dran gedacht? Dass Tom in fast jeder Hinsicht besser, schneller, schlauer war. Auch als es darum ging, seine eigene Zukunft zu bestimmen. Acht Jahre zwischen ihnen, und lange genug auch mehrere Zoll. Und kein Konkurrenzverhalten. Er hätte Tom jederzeit umhauen können, hatte es aber nie getan. Hatte nie auch nur den Wunsch danach verspürt.
    Auch mit dem Gewehr, das da lag, konnte Tom besser umgehen. Mit zwölf oder dreizehn konnte er es herumschwingen und bewirken, dass das Kaninchen in die Schusslinie lief. Ein guter Schütze   – für ihn also ein Soldatenleben. Aber noch besser erwies sich Tom nach Veras Tod darin, ihre Stelle einzunehmen und für sie alle einbisschen Mutterstelle zu ersetzen. War auch das etwas, das die Armee von einem Soldaten verlangte?
    Von Rechts wegen hätte Jack ihre Stelle einnehmen müssen. Acht Jahre lang ihr einziger Sohn. Und die vielen Becher Tee. Aber mit dreizehn war Tom eindeutig fixer und geschickter beim Kochen, Waschen und Versorgen im Allgemeinen. Und Jack, damals einundzwanzig und ein kräftiger Mann mit schlammverkrusteten Gummistiefeln, war am liebsten draußen. Hätte er versucht, an die Stelle seiner Mum zu treten, wäre ihm Dads Spott

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