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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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sicher gewesen. Es war also Tom, der sich eines Tages Veras noch mehlbestäubte, soßenbespritzte Küchenschürze umband. Er und Dad hatten einfach nur zugeguckt. Die Schürze hatte seitlich am Küchenschrank an einem Haken gehangen, wo niemand sie anrühren wollte. Doch dann war es Tom, der sie vom Haken nahm und sich umband. Als wäre es eine stumme Erklärung. Tom war es, der Eier und Bacon und zu Dreiecken geschnittene Brotscheiben in die Pfanne warf und die Küche mit einem Duft und einem Brutzeln füllte, als wäre noch die da, die nicht mehr da war.
    Aber er warf nicht einfach alles in die Pfanne. Er konnte die Eier mit einer Hand aufschlagen, so wie Mum. Zwei hübsche kleine Eierschalenhälften blieben in seinen Fingern. Jack wusste, ohne es zu versuchen, dass er das nie gekonnt hätte. Sie hätten auf Eierschalen gekaut und die Splitter ausspucken müssen.
    Mrs.   Warburton, Sally Warburton, Mums alte Freundin, war eine Weile lang jeden Tag vorbeigekommen, um »auszuhelfen«, wie sie es nannte, und vielleicht, um ihnen ein Beispiel zu geben, wie sie sich gegenseitig einwenig bemuttern konnten. Vielleicht hatte Tom es sich von ihr abgeguckt. Vielleicht hatte Tom sich bei ihr eingeschmeichelt, während er und Dad die schwere Arbeit erledigten.
    Und es war bedauerlich, möglicherweise, dass Mrs.   Warburton nicht Sally Warburton oder Sally Soundso war, sondern Mrs.   Warburton, die Frau von Ken Warburton, der die Tankstelle in Leke Hill Cross hatte. Denn dann wäre sie vielleicht die nächste Mrs.   Luxton geworden und sie alle hätten eine zweitbeste Mum auf Dauer bekommen. Aber nach einer Weile kam sie nicht mehr, vermutlich weil sie dachte, sie hätte lange genug ausgeholfen. Und wohin sollte Michael sich dann wenden? Er war zweiundfünfzig. Jack wusste nicht, was seine Mum zu diesem Punkt zu seinem Dad gesagt haben mochte, als sie im Sterben lag. Ob sie überhaupt etwas gesagt hatte. Aber nachdem eine gewisse Zeit verflossen war, platzierte Michael aus Verzweiflung eine Anzeige im
Courier
, in der er nach einer »Haushälterin« suchte, dabei weiß jeder, was das bedeutet, wenn ein eben verwitweter Farmer so eine Anzeige aufgibt.
    Keine Resonanz. (Außerdem, wie hätte er eine Haushälterin
bezahlen
können?)
    Ab da hatte Jack das Gefühl, dass sein Vater alt wurde. Zu schrumpfen anfing. Und dass er missmutig wurde, was er, trotz der Bedächtigkeit, mit der er ein Lächeln zustande brachte, nie gewesen war. Manchmal sah man ihn gegen etwas treten, einen Futtertrog oder das Wellblech um den Misthaufen, ohne einen Grund. Er holte aus und trat dagegen. Und ab da hatte Jack das Gefühl, dass er Tom, obwohl der längst kein kleiner Bruder mehrwar, vor dem Unmut seines Vaters beschützen musste. Er musste sich dazwischen werfen, so dass er selbst es abkriegte. Warum hatte ihm das nie etwas ausgemacht?
    Erst Mum, dann Tom. Dazwischen ihr ganzer Viehbestand, der zu einer Verbrennungsanlage gebracht wurde. Danach nur noch er und Dad. Dad, der ihn mit einem Blick ansah, der so viel sagte wie: Versuch du es nicht auch, schlag es dir gleich aus dem Kopf. Das, wenn er nicht gerade den anderen Blick draufhatte, der sagte: Warum findest du nicht eine Lösung, Jack, mein Junge, warum unternimmst du nichts dagegen? Gegen die Tatsache, dass es keine Mrs.   Luxton gab. Also, wenn das kein verrückter Blick war, einer, bei dem Dad sich selbst verhedderte, denn wenn er seinen Sohn nicht auf Brautschau schickte (und wie genau sollte das vor sich gehen?), sagte er mit diesem Blick, dass Jack genau das tun sollte, was zu tun völlig außer Frage stand. Denn der eigentliche Bund war der zwischen ihm und Ellie Merrick, und der konnte offiziell nie geschlossen werden.
    Eigentlich hätten sich die beiden, Jimmy Merrick und Michael Luxton, zusammentun und heiraten sollen, dachte Jack manchmal. Wenn so etwas möglich wäre. Einander so unähnlich, wie zwei Männer nur sein konnten, und sich gegenseitig so unsympathisch, wie das zwischen Männern nur möglich war. Aber beide mussten es mit denselben Dingen aufnehmen: Beide waren frauenlos und bearbeiteten, jeder auf seiner Seite der Grundstücksgrenze, dasselbe liebliche, aber schwierige und jetzt auch noch von Krankheit befallene Land. Und beide gingen vor die Hunde und beobachteten sich gegenseitig mit Argusaugen, um zu sehen, wer zuerst gefressen würde.
    In Jacks Erinnerung waren es die Luxtons, die die Oberhand hatten (zumal sie das stattlichere Haus und die hübscheren Felder

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