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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Luke nur zur Gesellschaft mit. Und das wusste Luke auch.
    Und dann war Luke nicht mehr da.
    Aber sie hielten an ihrem Muster fest: erst ins Schlafzimmer,auf die Schnelle, dann in die Küche. Natürlich verminderte sich mit der Zeit die Erregung, manchmal auch die Befriedigung. Während der Rinderwahn umging, waren vorübergehend auch menschliche Kontakte zwischen Farmen verboten, was die Merricks und Luxtons normalerweise nicht bekümmert hätte, was aber eine neue Abenteuerbereitschaft hervorrief. Jack wartete eine Woche ab, auch zwei, dann dachte er: die können mich mal, machte die gewohnte Fahrt (würden Helikopter der Regierung ihn verfolgen?) und wurde mit der alten Leidenschaft begrüßt, wie damals, als sie sich noch einbilden konnten, etwas Verbotenes zu tun. Eine gute Nebenwirkung der Rinderkrankheit.
    Aber insgesamt wuchs in Jack das Gefühl, dass diese Besuche   – auf die er nicht verzichten wollte, was hatte er sonst schon?   – ein wenig demütigend waren. Vielleicht ging es Ellie ähnlich. Obwohl sie nie gesagt hatte: »Lassen wir das, Jack.« (Schließlich, was hatte
sie
sonst?) Seine unverdrossenen Besuche auf der Westcott Farm stellten gewissermaßen einen letzten Triumph der Merricks über die Luxtons dar, dachte Jack, nach so vielen Jahren, in denen es andersherum gewesen war und die Merricks zu den Luxtons gekommen waren. Konnte sein, dass sein Dad diesmal den härteren Niedergang erfuhr, aber wurde das durch die Situation seines Sohnes nicht noch unterstrichen?
    Wenn der alte Merrick es so einrichtete, dem Anschein nach ganz zufällig, dass er Jack bei seiner Rückkehr zur Jebb Farm begegnete, stand ein spezielles Glitzern, so fand Jack, in den Augen des alten Schurken. Vielleicht war es auch ein Extraschluck von dem, was er trank. Unddieses Leuchten schien zu sagen: Mag sein, mein Junge, deinem Vater geht es schlecht, und mir nicht minder, und auch die Kühe hatten ihren Teil zu tragen, aber wer von uns allen hat wohl den allerkürzesten Strohhalm gezogen, Bürschchen, den kürzesten von allen?
    Jetzt verweilten sie nicht mehr, wenn sie sich trafen. Jimmy hielt nur kurz an, steckte den Kopf durch das Seitenfenster des Land Rovers, zerknautschte sein Gesicht zu einem Grinsen und sagte ein paar Worte, oder er zwinkerte ihm unter den buschigen Brauen zu und rumpelte davon.
    Aus irgendeinem Grund, vielleicht bloß, weil Jimmy Ellies Vater war, konnte Jack nicht umhin, den alten Gauner mit dem Koboldgesicht zu mögen. Und damals gehörten diese kurzen Zwischenspiele, wenn er nach einem Besuch bei Ellie auf dem Weg nach Hause war   – ob der alte Merrick nun am Horizont erschien oder nicht   –, einfach zu den schöneren Momenten in seinem Leben.
    Das denkt er auch heute noch. Sieht sich noch, wie er sich eine Zigarette dreht, wobei er das Lenkrad des holpernden Pick-ups mit nur einem gekrümmten Finger hält, als würde der ihn auch so sicher nach Hause fahren. Manchmal, auch wenn der alte Merrick ihm nicht entgegenkam, blieb Jack trotzdem stehen, um den Blick in sich aufzunehmen. Was er sonst nie tat. Um tief durchzuatmen. Dann stieg er aus und lehnte sich an den Pickup, einen Gummistiefel über den anderen gekreuzt, ein Ellbogen in der Hand des anderen Arms aufgestützt, und eine brennende Zigarette im Mund. Die Brise, wie sie durch das Gras säuselte. Und Luke, der damals noch lebte, zu seinen Füßen ausgestreckt, seine Ohren ebenfallsvon der Brise umsäuselt. Und Tom, ein kleiner Steppke. Eigentlich noch ein Baby.
    Das Gefühl, nur einen Moment lang, dass er Gebieter über alles, was vor ihm lag, war, dass er nirgendwo sonst sein wollte.
    »Lassen wir das, Jack.« Das hatte sie nie gesagt. Obwohl sie manchmal, in trüben Momenten   – als wollte sie ihm das Gefühl geben, dass es andere neben ihm gab oder er nur ein Lückenbüßer war (etwa all die Jahre?)   – zu ihm sagte, sie warte noch auf ihren »geheimnisvollen Mann«, der in gewisser Weise auch ihr wirklicher Mann sein würde, so wie der geheimnisvolle Mann einmal für ihre Mutter so wirklich gewesen war, dass sie mit ihm weggelaufen war. Das war nicht »Onkel Tony«, sondern der davor. Sogar sein Name war ein Geheimnis.
    Jack wusste nicht, ob sie das zum Scherz sagte oder ihn damit sticheln wollte oder ob sie in Wirklichkeit meinte, dass eigentlich er dieser geheimnisvolle Mann sein sollte. Wenn er nur
handeln
würde. Einfach handeln. Wie sieht es damit aus, Jacko? So etwas zu sagen, das war in Ordnung, als sie siebzehn

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