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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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besaßen), besonders nachdem Merricks Frau Alice abgehauen und Jimmy allein gelassen hatte, sodass er zur Gesellschaft und für die Haushaltsführung nur seine sechzehnjährige Tochter hatte. Ein Ereignis, das so überraschend kam (obwohl Michael oft sagte, es sei keine Überraschung gewesen), wie die Tatsache, dass die Luxtons nach acht Jahren einen zweiten Sohn bekamen, was   – wenn auch der Zeitpunkt nicht der beste war   – die Mannschaft auf der Jebb Farm vergrößerte und mithin die Unterlegenheit der Merricks bekräftigte.
    Doch dann war Vera gestorben, sodass die beiden Männer in dieser Hinsicht ähnlich situiert waren. Dann hatte Tom sich davongemacht. Unterdessen grassierte der Rinderwahn. Und all das bedeutete, dass sich die beiden Farmer, die ja auch nicht jünger wurden, in einem ähnlichen Zustand des Niedergangs befanden. Wenn überhaupt, dann hatte jetzt Jimmy die Nase vorn, denn schließlich hatte er jahrelang Zeit gehabt, sich an das Unglück zu gewöhnen, während Michael nach einer längeren Phase, in der es ihm gar nicht so schlecht gegangen war, von mehreren Schlägen hintereinander getroffen wurde, und es war offensichtlich, dass die Kräfte ihn verließen.
    Sie hätten sich, verdammt noch mal, neu verheiraten sollen. Oder Jack hätte   – eine Lösung, die doch die übliche war und ihnen jahrelang ins Gesicht gestarrt hatte   – Ellie heiraten und die beiden Situationen zusammenführen sollen.
    Nur hätte das im Widerspruch zu allen bekannten historischen Tatsachen gestanden und den beiden Vätern den Antrieb zu ihrer wechselseitigen Verachtung genommen. Es hätte entweder dem einen die Tochter oder dem anderen den Sohn geraubt, denn wo sollte das glückliche Paar leben? Glaubte Michael ernsthaft, Ellie würde über den Zaun springen und auf der Jebb Farm heimisch werden, wo sie doch an der Seite ihres lieben alten Dads so sehr gebraucht wurde?
    Und all das trotz der Tatsache, dass Sohn und Tochter dickste Freunde waren, solange sie   – oder sonst jemand   – zurückdenken konnte. Und nicht nur Freunde. Seit Jahren schon, noch in der Zeit vor Alice Merricks abruptem Weggang, hatten er und Ellie sich miteinander so verhalten (wenn auch nur an bestimmten Nachmittagen in der Woche), als
wären
sie verheiratet. Was nicht nur im gesamten Umkreis von Marleston bekannt war, sondern auch von beiden Vätern geduldet und sogar, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Heimlichtuerei, mit einem milden Lächeln bedacht wurde   – wahrscheinlich als Entschädigung für die Tatsache, dass eine echte Eheschließung ausgeschlossen war. Und zugleich war es ein Zugeständnis (was Jack nur nach und nach begriff), das sie beide, Sohn und Tochter, gewissermaßen wie Sklaven auf ihren angestammten Plätzen festhielt: auf ihrem jeweiligen Hof (außer, was Jack anging, dienstag- und manchmal donnerstagnachmittags).
     
    Anfangs war Jack einfach mit dem Pick-up rübergefahren, Luke auf dem Rücksitz. Normalerweise zu einer Zeit, wenn, laut der sich vorsichtig gebenden Ellie, deralte Merrick nicht zugegen sein würde. Dann gingen er und Ellie nach oben in ihr Schlafzimmer, wobei sie wussten, dass sie nicht lange verweilen durften, besonders, wenn sie anschließend, wie es gewöhnlich ihr Wunsch war, in der Küche sitzen und Tee trinken wollten   – und Luke, der wusste, wann er sich dünnmachen musste, lag dann ausgestreckt vorm Ofen und musterte sie bedeutungsvoll. Ohne die Tasse Tee war es irgendwie nicht richtig, und so war es auch immer ihr Vorwand, ihr Scheingrund: Jack war einfach zu einem nachbarschaftlichen Besuch vorbeigekommen (nur, warum sollte er das tun?) und auf eine nachbarschaftliche Tasse Tee geblieben.
    Das ging jetzt schon lange, ohne dass sie entdeckt oder gestört worden wären, und es war klar, dass zu Eile oder Heimlichtuerei oder für die Aufteilung ihrer Zeit zwischen Schlafzimmer und Küche eigentlich keine Notwendigkeit bestand. Ja, Jack hatte angefangen zu überlegen, ob sie ihren Tee nicht auch im Bett trinken konnten   – wenn Ellie das vorschlug oder er. Jedenfalls hatte er längst vergessen, wann ihm zum ersten Mal der Gedanke dämmerte, dass Merrick an diesen Nachmittagen absichtlich nicht auftauchte. Oder wann die Vorstellung, dass Jimmy zurückkommen und sie ertappen könnte, nichts weiter als eine Vorstellung war, ein Spiel, das dem ganzen ein bisschen Würze gab. Außerdem war es gar nicht nötig, dass Luke vor der Tür saß und, falls notwendig, anschlug. Er nahm

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