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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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anzusehen. Und dann hatte sie es sich bis zum richtigen Momentaufgehoben. Erst das Wort ausgesprochen, von dem sie wusste, wie das für ihn klingen würde, und ihm dann den Brief gezeigt.
    Und das alles, Herr im Himmel, in demselben Bett, in dem seine Mutter ihren letzten Atemzug getan hatte. Und wo sie ihre Ehe mit Michael Luxton vollzogen hatte und wo sie einst im September, in den frühen Morgenstunden, bei einer schwierigen Geburt einen Sohn namens Jack zur Welt gebracht hatte.
    Ellie hatte ihn unverzüglich dorthin gelotst, und konnte er behaupten, er habe sich auch nur schwach widersetzt? So als gäbe es keine Zeit zu verlieren und als könnte es nirgendwo anders passieren. Als wäre es Ellies eigenes Schlafzimmer, verdammt.
    »Was hast du? Angst, dass dein Dad uns entdeckt? Dass deine Mum uns sieht?« Sie kicherte. »Komm, Jack, lass locker.«
    Und um die Wahrheit zu sagen, hatte die schiere Unverfrorenheit ihn gepackt und angespornt, ihn übermütig werden lassen. Die schiere Tatsache. Sie konnten es tun, ganz nach ihrem Belieben. Sie waren König und Königin ihrer (eingestürzten) Burgen, ihrer endlich vereinten Königreiche, auch wenn Ellie ihm gerade erklären wollte, was er nicht unbedingt erklärt haben musste, dass nämlich nur eins in Frage kam: verkaufen, das Geld nehmen und weggehen   – was zu tun sie jetzt frei waren. Und Ellie konnte sogar die fertige Antwort zu der nächsten unvermeidbaren Frage aus dem Ärmel schütteln. Falls das möglich war: eine Antwort aus dem Ärmel zu schütteln, wenn man nichts anhatte.
    Jedenfalls hatte sie den Brief dabei. Irgendwo versteckt.Von »Onkel Tony«, oder genauer gesagt, von Onkel Tonys Anwalt.
    Ellies verschwundene Mutter Alice war, wie sich herausstellte, krank geworden und viel zu jung gestorben   – eigentlich ähnlich wie Jacks Mutter (obwohl in ihrem Fall in einem Pflegeheim in Shanklin)   –, ohne je das Schweigen zwischen sich und der ihr entfremdeten Tochter zu brechen, auch ohne ihr mitzuteilen, dass sie mit einem um viele Jahre älteren Mann namens Anthony Boyd verheiratet war. Kurz darauf war auch Onkel Tony krank geworden und gestorben. Und er war derjenige, so schien es, den bei seinem Tode das Gewissen geplagt hatte.
    »Es kommt noch besser, Jacko. Hör zu. Es kommt noch besser.«
    Kam es zu einem Disput, nachdem Ellie den Brief hervorgezogen hatte? Seit geraumer Zeit hatte Jack sich vorgestellt, das nächste Stadium des Verfalls von Jebb Farm sähe so aus, dass das ganze Haus samt aller Außengebäude anfangen würde, den Abhang runterzurutschen und krachend zu zerbersten.
    Doch einen Moment lang, als sie mit ihrem Tee im Bett saßen, erlaubte er sich das entgegengesetzte Bild, und beinahe hätte er sich davon überzeugen lassen. Die Farm gehörte jetzt ihnen. Endlich waren sie da, wo sie hingehörten. Das empfand er ganz stark   – während er gleichzeitig etwas anderes empfand, nämlich dass sie wie zwei Einbrecher, zwei Plünderer waren, die sich gewaltsam Zugang zu einem Haus verschafft hatten, das nicht ihnen gehörte.
    »Schläfst du etwa immer noch in deiner kleinen Kammer,Jack? Aber dir gehört jetzt das ganze Haus. Das hier ist das große Schlafzimmer.«
    Er hatte dieses Wort nie benutzt. Er wusste vage, dass es ein Ausdruck war, den Immobilienmakler verwendeten. Für ihn war es das große Schlafzimmer. Dad hatte viele Jahre hier geschlafen, in diesem großen Bett, allein, bis er es eines Nachts nicht länger ertrug.
    Und er schlief tatsächlich immer noch in seiner kleinen Kammer. Ellie entging nichts.
    »Na«, sagte sie ein bisschen später, »wenigstens kannst du nicht sagen, wir hätten es nicht mal richtig ausprobiert.«
    Sie saß aufrecht an das Kopfteil gelehnt und kümmerte sich nicht darum, dass ihre Brüste zu sehen waren. Auch er hatte sich an das Kopfteil gelehnt. Wie ein schamloses Königspaar, genau so, ließen sie den Blick über ihr Reich schweifen. Durch das Fenster vor ihnen, wo das Land abfiel, konnte man auf der anderen Seite des Tales die Hügelkette sehen. Blauer Himmel, ein, zwei fedrige Wölkchen, der schwarze Fleck eines kreisenden Bussards. Dazwischen die grüne, windbewegte Krone der Eiche.
    »Gut«, hatte Ellie gesagt, »du bleibst hier, und ich mache uns Tee.«
    Und sie war mit nacktem Arsch in die Küche gegangen, Ellie Merrick mit nacktem Arsch in der Küche der Jebb Farm. Und er dachte, dass es kein schlechter Arsch war (was für den Rest ebenfalls galt), auch wenn es nicht mehr der

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