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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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einfach fantastisch gewesen waren. Es waren die besten Wochen in seinem Leben überhaupt gewesen. Vielleicht sogar, dachte er manchmal, die besten überhaupt.
    Wie hätte er zu Ellie, die ja gar nicht dabei gewesen war, sagen können: »Das waren die besten Wochen in meinem Leben«, ohne ihre Eifersucht zu entfachen? Mädchen! Aber wie viele Mädchen kannte er? Er kannte nur Ellie. Und wie hätte er es damals, als sie ihre privaten Zusammenkünfte auf der Westcott Farm hatten, sagen können, ohne sich noch mehr hineinzureiten? Was, nicht
dies hier
, Jacko?
    Und schon gar nicht, als sie splitterfasernackt im großen Schlafzimmer im Bett saßen, jeder einen Becher Tee in den Händen.
    Also hatte er nicht davon gesprochen und so getan, als hätte er alles vergessen und als wäre es ohnehin nie so wichtig gewesen. Ellie zuliebe. Er konnte sehr lieb zu Ellie sein.
    Aber Ellie hatte natürlich gewusst, dass er nur so tat. Er hatte ein Gesicht wie eine Mauer, damit war er zur Welt gekommen, aber Ellie hatte gelernt, es zu durchschauen.Und sie wird gewusst haben, an jenem Nachmittag, wie zart die Stelle immer noch war, die sie da berührt hatte, und wie sehr es zur Entscheidung beitrug, als sie das Wort sagte. Wohnwagen. Als wäre es das Passwort und der Schlüssel zu ihrer Zukunft.
    Aber die Wahrheit war unumstößlich: Diese beiden Wochen waren fantastisch gewesen.
     
    Als Jack dreizehn war und Tom noch keine sechs, war Vera mit den beiden Jungen zum ersten Mal in die Ferien gefahren, nach Brigwell Bay, das in der Nähe von Lyme Regis lag. Und dass diese Ferien so fantastisch waren, lag daran, dass sie in einem Wohnwagen wohnten.
    Es war dem Betreiben und Beharren ihrer Mutter zu verdanken, dass sie fuhren. Wahrscheinlich hatte sie mit mehr als ihrer üblichen Resolutheit zu Michael gesagt, dass sie mit den beiden Jungen Ferien machen wollte, Ferien am Meer, an die sie sich, auch als Erwachsene, immer erinnern könnten. Darauf sollten sie nicht verzichten müssen. Und Michael hatte offensichtlich zugestimmt, zweimal hintereinander, obwohl Jack damals, im Alter von dreizehn und vierzehn, für den Sommer als volle Arbeitskraft auf der Farm gebraucht wurde.
    Sie hatten also eine gewissermaßen epische Reise gemacht, teils mit dem Bus, teils mit dem Zug, bis zur Südküste Englands und über die Grenze (wenn auch nur knapp) in eine andere Grafschaft. Und sie hatten in einem Wohnwagen gewohnt, auf einem kleinen Feld, drei Hektar groß, mit Hecken drum herum, leicht zurückgesetzt von den Klippen und dem Strand unterhalb. Es gab nur sechs Wohnwagen, die kreuz und quer standenund, verglichen mit den schicken, in Reih und Glied angeordneten Riesenwohnwagen, die Jack jetzt in der Ferne sehen kann, wie Kaninchenställe auf Rädern aussahen. Aber jeder Wohnwagen hatte einen Namen, und sie hatten zweimal hintereinander den mit dem Namen »Marilyn«.
    Diese beiden Wochen in dem Wohnwagen in Brigwell Bay waren bis zu dem Zeitpunkt, als Jack mit Ellie an jenem Nachmittag im Juli im Bett saß, die einzigen Ferien, die er jemals gehabt hatte (desgleichen Tom), und er könnte immer noch sagen, dass er beide Male nicht glücklicher hätte sein können. So glücklich, dass er sich in den ersten Ferien, als er plötzlich dieses deutliche und unmissverständliche Glücksgefühl hatte, fragte, ob er eigentlich vorher schon jemals glücklich gewesen war.
    Als er in ihrem Wohnwagen an dem winzigen Tisch mit der hellgelben Resopalplatte saß und die Postkarte an Ellie schrieb, schrieb er sie mit einer Mischung aus Ehrlichkeit und Schuldgefühl. Ja, es wäre wirklich schön, wenn sie da wäre. Aber wenn er es sich wirklich wünschte, wie konnte er dann ohne sie so glücklich sein? Zu sagen, es wäre schön, wenn sie da wäre, war so, als würde er zugeben, dass er ohne sie glücklich war. Als würde er sagen, er schrieb die Karte an sie, weil er ihr untreu geworden war.
    Und was Ellie anging, so war an jenem Nachmittag im Juli die Gesamtzahl der Ferien, die sie je gemacht hatte, gleich null. Und »Ferien« war ein weiteres Wort, das sie an jenem Nachmittag im Juli erwähnte und in der Luft klingen ließ, so wie das Wort »Wohnwagen«.
     
    Wie seltsam, auf einer Farm von über sechzig Hektar Land geboren zu sein, und dennoch so glücklich gewesen zu sein, vielleicht zum ersten Mal richtig glücklich, in einer Blechbüchse von einem Wohnwagen, auf einem kleinen Stück ungepflegter Wiese, wo in einer Ecke ein Schlauch mit einem tropfenden Wasserhahn

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