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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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schreiben, so viel stand fest. Eine Sorge weniger. Und Ellie würde keine zu lesen bekommen.
     
    Aber Jack konnte sich nicht wirklich sicher sein, was die Frage der nächsten Angehörigen betraf, wo doch Tom nie geantwortet und sich auch sonst nicht gemeldet hatte. Und wo Tom nicht dagewesen war, als sie Dad neben Mum in die Grube auf dem Friedhof von Marleston hinabgelassen hatten. Er hatte damals gedacht: Was sagt sie jetzt zu ihm? Was für eine Begrüßung bekam er? Na, das ist ja eine feine Methode, Michael, so zu mir zu kommen.
    Jack konnte sich nicht sicher sein, ob Tom einfach beschlossen hatte, nicht zu kommen und auch nicht zu sagen, dass er nicht kommen würde (obwohl Jack wusste, dass es für familiäre Anlässe Urlaub gab), oder ob Tom nicht da war, weil er den Brief, der mit solcher Mühe geschrieben worden war, gar nicht erhalten hatte. Wenn man einen Brief, nur mit einem Namen und einer Nummerversehen, an die Armee schickte, war das vielleicht so, als würde man ihn an den Nordpol schicken.
    Andererseits bestand kein Zweifel, dass er, Jack, als er den offiziellen, vom Verteidigungsministerium an ihn adressierten Brief las, der nächste Angehörige war. Es gab niemanden sonst. Aber er wollte gern glauben   – will es immer noch glauben   –, dass Tom in dem Moment, da die Armee ihn aufgefordert hatte, den Namen des nächsten Angehörigen anzugeben, den seines Bruders angegeben hatte. War das zwischen ihnen nicht so ausgemacht gewesen?
    Alles Gute, Tom.
    Das war praktisch sein erster Gedanke, als er den Brief las   – dass die Sache mit »nächster Angehöriger« wirklich zutraf. Deswegen hielt er jetzt dieses Papier in der Hand. Und während er draufstarrte und es nicht wahrhaben wollte, dachte er, dass es jetzt keinen nächsten Angehörigen gab, nicht für ihn, nicht in der eigentlichen Bedeutung, obwohl er mit Ellie verheiratet war. Es gab keinen Nächsten.
    Und das war ein heikler Punkt.
    Aber vielleicht war sein erster Gedanke auch der gewesen, dass der Brief zwar vom Verteidigungsministerium kam, aber in gewisser Weise, wegen der durchgestrichenen Adresse, doch eher von der Jebb Farm. Er war wie verschiedene andere Briefe, die sie eine Zeitlang erhalten hatten. Man traf eine Abmachung   – das heißt, Ellie hatte sie getroffen, auch für die Westcott Farm   – mit dem Postamt. Aber Briefe dieser Art kamen schon seit Jahren nicht mehr, was ihm nur recht war, denn jedes Mal (auch wenn es keine Geldforderung war) empfander es unweigerlich als Schmerz und als Anklage, wenn er die Worte »Jebb Farm« auf dem Umschlag sah.
    Und bei diesem Brief waren sie wie ein Stich.
    Denn Tom hatte
das
nie gewusst. Ob er nun die an ihn gerichteten Briefe erhalten hatte oder, falls er sie erhalten hatte, ob ihn der Inhalt interessierte. Jack hatte ihm
diese
Nachricht nie mitgeteilt. Das war seine Entscheidung gewesen. Da Tom nicht zur Beerdigung gekommen war und auch nicht geantwortet hatte. Da er, Jack, nicht einmal mehr wusste, wo Tom war.
    Oder es war Ellies Entscheidung. Viele Entscheidungen waren in Wirklichkeit ihre. Vielleicht die meisten. Dabei hätte er es erwähnen, hätte als Erster die Sprache drauf bringen können, an dem Nachmittag damals: »Denk an Tom, Ell. Was ist mit Tom?«
     
    Und jetzt war das ganz ohne Bedeutung. Weil Tom nicht mehr da war. Weil der Brief, der zuerst zur Jebb Farm geschickt worden war und Jack deswegen mit einiger Verspätung erreicht hatte, ihm mitteilte, dass Corporal Thomas Luxton und zwei andere aus seiner Einheit am 4.   November 2006 »im aktiven Einsatz« im Irak, bei Operationen in der Region Basra, gefallen waren. In dem Schreiben erfuhr er, dass diese Nachricht ihm   – da Versuche, ihn direkt zu erreichen, fehlgeschlagen seien   – mit tiefstem Bedauern per Brief zugehe und dass Sorge dafür getragen worden sei, die öffentliche Bekanntgabe von Corporal Luxtons Namen so lange zurückzuhalten, bis er, Mr.   Jack Luxton, diese Nachricht erhalten und bestätigt habe. Mr.   Jack Luxton wurde höflichst gebeten, sich so bald wie möglich mit der Dienststelle in Verbindungzu setzen   – eine Sondernummer sowie weitere Telefonnummern und Adressen seien angegeben   –, damit die Vorbereitungen für die Repatriierung von Corporal Luxtons Leiche (und die seiner Kameraden) veranlasst werden könnten, was ohnehin, aus internen Gründen, von der Freigabe der zuständigen Militärbehörde abhängig sei.
    Es war ein grauer trüber Herbstmorgen, ein Tag, an dem

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