Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
Vom Netzwerk:
konnte es so gut haben wie sie   – den ganzen Sommer saßen sie auf dem Platz, und im Winter flogen sie in die Karibik. Doch gleichzeitig war an den beiden etwas, das nicht richtig passte, das sie ungewöhnlich machte. Es gab, soweit man sehen konnte, keine kleinen Luxtons, und man konnte auch nicht ganz sicher sein, ob die beiden wirklich verheiratet waren. Irgendwie fiel das aus dem Rahmen. Aber das war in Ordnung, dagegen hatte man nichts. Ferien in einem Wohnwagen zu machen, fiel ja auch aus dem Rahmen und war ein bisschen schräg. Und wenn man in den Ferien war,wollte man Farbe, da wollte man nicht, was öde und gewöhnlich war. Das kriegte man auch nicht, da brauchte man nur seine Hemden anzusehen.
     
    Farmer Jack. Inzwischen sind mehr als zehn Jahre vergangen, dass sie da mit ihrem Tee im Bett gesessen hatten, auf der Jebb Farm, und Ellie das Wort ausgesprochen hatte. Und damals hatte er nicht gesagt, wenn es schon einer Alibi-Opposition oder auch mehr als nur eines Alibis bedurft hätte: »Denk an Tom, Ellie. Denk an Tom.«
    Am Anfang eine steile Lernkurve (Ellies Ausdruck). Aber die Hauptsache war: Es rentierte sich. Zweiunddreißig Wohnwagen. Er konnte ganz gut rechnen, auf Bauernart. Auf der Jebb Farm war nicht die Rechenmethode falsch gewesen, sondern die Zahlen selbst waren falsch. Verglichen mit allem, was sie von früher kannten, waren sie jetzt weich gebettet. Schließlich hatten sie das Kapital aus dem Verkauf der beiden Farmen, obwohl die nur Schleuderpreise erzielt hatten und auch noch Schulden abzubezahlen waren.
    Zehn Jahre. Und mehr als nur eine Lernkurve. Eine Befreiung, eine Entspannung, ein Lockerlassen. Er sah es an dem Lächeln, mit dem sie ihn ansah, und an ihrem Lächeln sah er, dass er, mit seinem großen vermauerten Gesicht, offenbar auch lächelte.
    Aber er sieht es noch vor sich: den steilen Abhang vom Haus aus, das volle Sommerlaub der Eiche. Dahinter die Hügel. Die Linien der Hecken, und die Gatter darin, zwischen denen schnurgerade Feldwege verliefen. Weiße Flecken für die Schafe, braune und schwarz-weiße fürdie Kühe. Einen kurzen Augenblick lang kann Jack, obwohl er seit zehn Jahren die von vielen gepriesene Meeresluft atmet, den Geruch der Erde, den Atem der Erde riechen. Den dicken, schweißgetränkten Geruch einer Heuwiese. Den trockenen, gebackenen Geruch von abkühlenden Stoppeln an einem Spätsommerabend. Gerüche, die er nie bewusst wahrgenommen hat. Der Geruch von Kuhmist, der sich mit dem der Erde vermischt, so billig und gewöhnlich wie sonst keiner und doch der beste. Wer wünschte sich das nicht als Geburtsrecht und für seinen letzten Atemzug?

9
    Den Brief hatten sie vor neun Tagen bekommen, wobei es streng genommen kein »sie« gab, da als Adressat »die nächsten Angehörigen« genannt waren. Entweder hatte Tom seinen Bruder gleich zu Beginn als nächsten Angehörigen angegeben oder die Änderung vorgenommen, als das nötig wurde.
    In diesem Punkt konnte Jack sich nicht sicher sein, da Tom ja keinen seiner Briefe beantwortet hatte. Es waren nur wenige, kostbare Briefe gewesen, das wohl, aber darunter war auch der, bei dem Jack sich so unendlich gequält hatte und der die Nachricht von Michael Luxtons Tod und die Beerdigungsformalitäten enthielt. Es hatte ihn mehrere Stunden gekostet und mehrere zerrissene Blätter, von denen es sowieso nie allzu viele auf der Jebb Farm gab, und noch beim Schreiben hatte er sich gefragt, ob Tom der Brief überhaupt nahegehen würde. Warum sollte er Tom nahegehen? Er hatte ein Jahr zuvor mit seinem Vater abgeschlossen, und jetzt war es umgekehrt, ihr Vater hatte mit allem abgeschlossen, ein für allemal.
    »Ich hoffe«, hatte Michael einmal, wie Tom erzählte, gesagt (und warum sollte Tom sich das ausgedacht haben?), »dass später einmal jemand für mich das Gleiche macht.«
    Wo war also die Qual für Jack, wenn er vermutete, dass es für Tom eigentlich keine geben könnte? Es sei denn, das war die Qual   – dass es keine gab. Bei einer solchen Sache. Oder vielleicht war es auch so, dass allein das Schreiben eines Briefes privater Natur   – überhaupt eines Briefes   – Jack Qualen verursachte. »Schick mir eine Postkarte«, hatte Ellie zu ihm gesagt und ein trauriges Gesicht gemacht, als würde er in den Krieg ziehen (sodass man hätte denken können, dass sie sich umso mehr gefreut hätte, als sie eine bekam). Und auch die hatte er gleichsam unter Qualen geschrieben.
     
    Wenigstens würde er jetzt keine Briefe

Weitere Kostenlose Bücher