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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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das Meer verschwunden, aber als er Richtung Osten abbog, zeigte der Himmel eine schwache, federzarte Färbung aus Grau und Rosa über einer gerade erkennbaren Horizontlinie. Er musste mit einem ausreichenden Zeitpuffer vor halb zwölf eintreffen, doch selbst wenn man die Überfahrt und den Verkehr einrechnete, schien es kaum notwendig, bei Dunkelheit aufzubrechen. Von Portsmouth waren es gut achtzig Meilen. Aber er hatte nie (anders als Ellie) die Gewohnheit desFarmers abgelegt, mit oder vor der Morgendämmerung aufzustehen. Im Sommer saß er manchmal um fünf Uhr früh mit einem Becher Tee vorm Haus und fragte sich, wann es wohl soweit war, dass die ersten Wohnwagenbewohner (und es konnte sein, dass alle Wohnwagen belegt waren) sich rührten. Faule Bande. Aber sie hatten Ferien, sie brauchten sich nicht zu beeilen, sie hatten den ganzen Tag vor sich. Sie verbrachten eine schöne Zeit   – dank seiner und Ellies Bemühungen. Nichts war zu hören, außer dem Schreien der Möwen und, in der Stille, dem schwachen, schläfrigen Plätschern des Meeres, als wäre es auch eben erst erwacht.
    Auf alle Fälle war es besser, zeitig zu sein. Von der Isle of Wight nach Oxfordshire: für ihn war das unbekanntes Terrain. Wie die Isle of Wight früher einmal. Von der Insel Santa Lucia einmal ganz abgesehen. Von jetzt an war alles unbekanntes Terrain.

16
    In Holn bog er links ab, den Flecken rosagefärbten Himmels direkt vor sich, bog dann wenige Meilen später wieder nach links, Richtung Newport.
    Vor Verlassen des Hauses hatte er sich mit einer weiteren Entscheidung schwer getan, zusätzlich zu der Entscheidung, seine schwarze Krawatte zu tragen. In seine Übernachtungstasche, in der Wäsche und Waschbeutel verstaut waren, hatte er nach einigem Zögern eine kleine schwarze Schatulle mit Klappdeckel gesteckt. Dann, als er sich im Spiegel ein letztes Mal musterte, hatte er diese Entscheidung wieder revidiert. Er hatte den Reißverschluss der Tasche aufgezogen, die Schatulle herausgenommen und den Inhalt in die Brusttasche seines Anzugs gesteckt, dann hatte er leicht auf das kleine Gewicht an seiner Brust geklopft. Die Schatulle hatte er wieder in die Tasche gesteckt. Die Logik dieser Handlung, wenn sie denn eine hatte, hätte er nicht erklären können. Seine Hand hatte dabei leicht gezittert.
    Als er das Jackett auszog und es auf den Rücksitz legte, hatte er das, was in der Brusttasche war, in seine Hemdtasche gesteckt   – dasselbe Hemd, das er auch bei Major Richards’ Besuch getragen hatte   –, sodass das kleine Gewicht jetzt fast an seiner Haut ruhte. Als er noch vorNewport zum Tanken hielt, und während der folgenden zwei Tage dauernden Reise trug Jack die ganze Zeit die Medaille.
     
    Er kam in Fishbourne rechtzeitig für die Fähre um halb acht an. Inzwischen war es hell, und jenseits des Hafenbeckens, wo die Fähren anlegten, zeigte sich das Meer, das vom Lookout aus nur eine Ahnung gewesen war, lebhaft und kabbelig, und die kombinierte Wirkung aus einer kräftigen Brise und den Strahlen der soeben aufgegangenen Sonne machte die Wellen auf der einen Seite tintenschwarz, während sie auf der anderen Seite glitzerten. Im Becken lagen vertäut die schaukelnden, klirrenden Jachten.
    Obwohl Jack mittlerweile gut zehn Jahre in einem ehemaligen Cottage der Küstenwache wohnte und jeden Tag aufs Meer blickte, war eine Schiffsfahrt für ihn nichts Alltägliches. Er konnte den Feriengästen verschiedene Bootsunternehmungen empfehlen, hatte aber selbst nie den Wunsch verspürt, ein Boot zu besitzen, in einem Schlauchboot mit Außenbordmotor vor Holn Head herumzuschippern und sogar die Angel auszuwerfen. Die sechs Meilen lange Überfahrt über den Solent war seine erste Erfahrung von einer Schiffsfahrt gewesen und blieb das auch. Desgleichen hatte er, bevor er mit Ellie in die Karibik geflogen war, nicht gewusst, wie es war, in einem Flugzeug zu sitzen. Diese beiden ungewohnten Erfahrungen waren miteinander verknüpft, da er, um zum Flughafen in Gatwick zu gelangen, zunächst mit der Fähre zum Festland übersetzen musste, und da die Winterferien der einzige Anlass für eine Überfahrtwaren, wurde die Erfahrung niemals eine selbstverständliche.
    Auf der Fahrt zu dem Luftstützpunkt erinnerte Jack sich jetzt an die erste Überfahrt mit der Fähre auf dem Weg zum Flughafen. Die ganze Angelegenheit   – obwohl es doch Urlaub war und Spaß machen sollte und die Menschen dergleichen offenbar ständig machten   – hatte ihn

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