Wärst du doch hier
natürlich, das er »wir« sagte, als er all dies erklärte, so wie MajorRichards »Sie und Mrs. Luxton« gesagt hatte. In seiner Magengrube bildete sich allmählich ein fester Knoten von Angst angesichts dieser Reise, einer Reise mit zwei Stationen, wie sich jetzt herausstellte – angesichts all dessen, dem Bekannten und Unbekannten, was sie mit sich bringen würde. Noch hatte er nicht begonnen, sich alle furchterregenden Einzelheiten vorzustellen. Trotzdem, die Reise musste gemacht werden. Es war, obwohl das Wort kaum angemessen schien, eine Pflicht. Dabei war es ja nicht so, dass er, Jack, aufgefordert wurde, eine Kriegszone zu betreten, und deshalb zu einem Ausbruch von Angst berechtigt war. Sie mussten einfach zwei Orte in England ansteuern, weiter nichts, einer davon ihnen sehr vertraut. Und Ellie, sagte Jack sich, würde bei ihm sein.
Doch anscheinend hatte Ellie andere Vorstellungen. Als er über die notwendigen Konsequenzen, die sich aus dem Tod seines Bruders ergaben, berichtete, begehrte sie unvermittelt und ziemlich heftig gegen die Verwendung des Wortes »wir« auf.
»Wen meinst du denn mit ›wir‹?«, fragte sie plötzlich. »Wer ist hier ›wir‹?« Wieder sah er sie, wie sie die Tür hinter Major Richards schloss, sich aber mit dem Rücken dagegen stemmte, als wollte sie jeden weiteren Versuch, falls jemand hereinkommen wollte, unterbinden.
»Lass mich da raus, Jack, Ich fahr nicht mit.«
Darauf war Jack nicht vorbereitet, aber ihre Entschlossenheit war unmissverständlich.
»Es geht nicht. Er ist nicht mein kleiner Bruder.«
Er begriff, dass sie sich entzog. Es war eine legitime Option, obwohl er sie ihr nicht angeboten hatte – als wäreer Ellies Kommandeur. Er hatte nicht gesagt, dass er Freiwillige suche und jeder, Mann oder Frau, frei sei, sich dagegen zu entscheiden. Vielleicht sein großer Fehler. Hätte er gesagt: »Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst, Ell«, vielleicht wäre sie dann mitgekommen. So funktionierte das manchmal. Aber er hatte es nicht gesagt, und sie hatte sich nicht mit Anstand verhalten. Schon gar nicht hatte sie sich mit Anstand rausgewunden.
Von ihrem harten Gesichtsausdruck abgesehen, wusste Jack nicht genau, was ihn von dem, was sie gesagt hatte, am meisten verletzte. Dass sie nicht mitkommen würde? Dass er nicht mehr wie selbstverständlich »wir« in der Bedeutung von »Ellie und er« verwenden konnte? Dass Tom nicht ihr Bruder war? Diese Feststellung entsprach natürlich exakt den Tatsachen, aber Jack hatte das Gefühl, dass in diesem besonderen Fall Tom
doch
Ellies Bruder war, in dem Sinn nämlich, dass jeder, der so nahestehend war wie Ellie, wenigstens für kurze Zeit das Gefühl hätte: »Das ist mein Bruder.« Wieder spürte er das kleine Zittern, das aus dem verstörenden Bedürfnis kam, Ellie zu trösten.
Jack, der etliche schwere Schläge hatte hinnehmen müssen, war in gewisser Weise betäubt, immunisiert gegen weitere Schläge, die Ellie jetzt austeilte. Aber später erkannte er, dass es das Wort »kleiner« war, das ihn am meisten gekränkt hatte. Das hätte Ellie nicht sagen müssen. Und doch war es das Wort, dass sie mit größtem Nachdruck gesagt hatte.
»Kleiner.«
Es traf natürlich nicht mehr zu, auch wenn es früher einmal so war. Tom war längst nicht mehr klein. Man konnte vielleicht sagen, dass er jetzt weniger als kleinwar, da er nichts war – vielleicht war dieses Nichts nicht einmal mehr vollständig. Und seit geraumer Zeit war er nicht mehr in Jacks Leben, und Jack hatte die meiste Zeit versucht, nicht an ihn zu denken. Er war also auch in diesem Sinne klein oder nichts. Aber in einem normalen Sinn war er alles andere als klein, schon seit Jahren. Auch an dem Abend, als er die Jebb Farm verlassen hatte, war er nicht klein gewesen, obwohl Jack damals, und auch seither manchmal, an ihn als den Kleinen gedacht hatte. Worum es aber hier ging: »Klein« war sein Wort, sein Spezialwort, nicht Ellies.
Am Tag nach Major Richards’ Besuch hatten sie in der Zeitung etwas gelesen, womit sie laut Major Richards zu rechnen hatten. Die Namen – die ungewöhnlich lange zurückgehalten worden waren – wurden jetzt veröffentlicht, die Namen der drei Männer, die bei dem schon bekannten Vorfall getötet worden waren. Zusätzlich zu den Namen wurden auch Fotos veröffentlicht sowie Stellungnahmen von Angehörigen und Kommandeuren. Major Richards hatte Jack gefragt, ob er zu diesem Anlass einige Worte sagen wolle.
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