Wärst du doch hier
Als er vor die Tür trat – Ellie war immer noch nicht erschienen – und zum Wagen ging, fragte er sich, ob sie dennoch angestrengt auf jedes seiner Geräuschelauschte. Oder ob sie gar aufgestanden war (er hatte sich nicht zu einem jämmerlichen Rückwärtsblick erniedrigt) und durch einen Spalt in den Vorhängen seine Abfahrt beobachtete. Aus demselben Fenster, an dem er jetzt nach ihr Ausschau hält.
Er sieht sich selbst, als wäre er Ellie und beobachtete seine eigene Abfahrt, im Begriff, die Reise von vorne zu beginnen. Er sieht sich Meile um Meile zurücklegen, noch einmal jedes einzelne seltsame, verstörende Stadium durchlaufen, während er jetzt auf Ellies Rückkehr wartet. Bei seiner Abfahrt hatte er nicht gewusst, ob
er
zurückkommen würde. Oder ob Ellie da sein würde, wenn er wiederkam. So war es ihm jedenfalls vorgekommen.
Er hatte, wie es bei so einer Reise ja normal war, sein Mobiltelefon dabei. Man konnte nie wissen, vielleicht musste er unterwegs Major Richards anrufen, um zu melden, dass er liegen geblieben war. (Oder um zu sagen, dass er plötzlich und völlig überraschend krank geworden war.) Außerdem hätte es sein können, dass er mit Ellie hätte sprechen wollen oder müssen. Oder sie mit ihm. Aber kurz bevor er losfuhr, hatte er sich versichert, dass es ausgeschaltet war, mit der Absicht, es ausgeschaltet zu lassen. Wenn sie es nicht einmal fertigbrachte, sich von ihm zu verabschieden!
Auch jetzt ist es, mit Nachdruck, abgeschaltet.
Die Luft war frisch und etwas feucht gewesen, mit einem Anflug einer belebenden Morgenbrise. Er konnte die Wohnwagen unterhalb, obwohl sie doch weiß waren, kaum ausmachen, aber jenseits der Lichter von SandsEnd und Holn war ein schwacher Schimmer des Meeres zu erkennen – und darauf, wie Punkte, die fast bewegungslosen Lichter ferner Schiffe, die ihn immer wieder, selbst wenn es nur daran lag, dass sie ihn an den früheren Zweck des Hauses, in dem er lebte, erinnerten, merkwürdig tröstlich stimmten.
Er trug ein weißes Hemd und seinen einzigen Anzug, der zum Glück anthrazitgrau war. Zu dem seltsamen Gefühl von Heimlichkeit, mit dem er sich in seinem eigenen Haus bewegt hatte, kam ein ebenso ungewohntes Verlangen nach Würde. Er hatte sich sorgfältig angezogen. Er trug nur selten einen Anzug. Dies war nicht mehr der Anzug, den seine Mutter ihm vor langer Zeit in Barnstaple gekauft hatte, aber er erinnerte ihn daran und an den Moment, als er aus der Umkleidekabine bei Burtons trat und seine Mutter ihn musterte. An ihr kleines, zufriedenes Kopfnicken. Was würde sie jetzt denken?
Beim Anziehen hatte er an den leeren Bestattungswagen gedacht, der inzwischen in Barnstaple losgefahren sein musste. Oder hatte man ihn, um ganz sicher zu sein, schon am Abend vorher gebracht? Wie auch immer, Hauptsache, er war da.
Er band sich seine schwarze Krawatte um, während er noch mit sich stritt, ob er sie jetzt oder erst später umbinden sollte. Für den Knoten brauchte er zwei Anläufe. Die kleine Übernachtungstasche mit Wäsche zum Wechseln war dieselbe, die er in den Winterferien als Handgepäck an Bord nahm. Sie hatte mehrmals die Reise in die Karibik und zurück gemacht.
Eine Weile hatte er bei der Haustür gestanden und überlegt, ob er zu Ellie raufrufen sollte – oder noch einmalnach oben gehen, bevor er fuhr. Aber er wollte nicht raufrufen, wenn sie nicht zurückrufen würde. Und er wollte nicht nach oben gehen, wenn Ellie nicht zu ihm sagen würde: »Ich denke an dich, Jack. Und an Tom.« Das hätte ja gereicht. Aber da sie es früher nicht gesagt hatte, würde sie es jetzt auch nicht sagen, das wusste er wohl. Und könnte sie es sagen, dann würde sie jetzt mit ihm kommen. Sie würde neben ihm stehen und einen Blick in den Spiegel neben der Haustür werfen, angezogen und ein bisschen außer Atem, umgeben von einem Dufthauch. So, wie wenn sie in die Winterferien fuhren.
»Alles bereit, Jacko? Flugtickets? Geld? Lächeln?«
Er hatte die Tür leise hinter sich ins Schloss gezogen – er hätte sie zuschlagen können –, als wäre es tatsächlich seine Absicht, unbemerkt zu gehen. So wie Tom an dem Abend vor so vielen Jahren. Er musste unwillkürlich daran denken. Damals hatte
er
wach im Bett gelegen und auf jedes kleinste Geräusch gelauscht. Das Letzte, was er je von Tom gehört hatte.
Er ließ den Motor an und rollte fast lautlos, den Fuß auf der Bremse, die kurvige Straße den Hügel hinunter. Im Scheinwerferlicht war
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