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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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sie angehalten, und Dad sei nach hinten gegangen, um Luke zu holen, der inzwischen sicherlich seine eigenen Schlüsse gezogen hatte. Tom sagte nicht, ob auf dem Weg gesprochen wurde oder ob Luke sich an dieser Stelle widersetzte. Mit einem kranken Tier fängt man keine Auseinandersetzung an. Dad habe Luke ein paar Schritte vom Pick-up weggetragen und auf den Boden gelegt. Dann sei er wieder zum Wagen gegangen, um das Gewehr zu holen. Er selbst, sagte Tom, habe das Gewehr nicht nehmen wollen, er habe keinerlei Anstalten gemacht.
    Dad hatte die Patronen in seiner Jackentasche, und während er das Gewehr lud   – beide Läufe, für alle Fälle   –, forderte er Tom auf, die Spaten zu holten. Jack hatte Tom gefragt, in welchem Ton ihr Vater gesprochen habe, und Tom hatte kurz nachgedacht und geantwortet: als ob er Befehle erteile. Es war für sie beide keine schöne Sache (auch nicht für Luke), und man konnte nicht nett darüber sprechen. Jack verstand das sofort. Dann hatte Tom hinzugefügt, ihr Vater habe wie ein echt mieser Hund gesprochen.
    Tom hatte erzählt, dass Luke, solange sein Vater das Gewehr lud, im Gras gesessen habe, da, wo er abgesetzt worden war. Zwar stimmte es, dass er sich ohnehin kaum noch bewegen konnte, aber er saß einfach da wie ein braver Hund, die Vorderbeine ausgestreckt, und wartete auf das, was dann kam. Natürlich war er mit dem Gewehr bestens vertraut.
    Jack hatte Tom gefragt (obwohl er längst die Antwort wusste), ob er glaubte, Luke habe es die ganze Zeit gewusst. Darauf hatte Tom gesagt, natürlich. Natürlichwusste Luke es. Luke war halb blind und hatte sich nicht gerührt, aber Tom sagte, er sei überzeugt gewesen, dass Luke es wusste, schon als sie über das Barton Field geholpert seien. Und Jack wusste, dass er die Frage nicht hätte stellen brauchen.
    Aber über den nächsten Teil von Toms Bericht konnte Jack sich nicht sicher sein. Andererseits, warum sollte Tom sich das ausgedacht haben? Tom hätte erzählen können, dass Dad auf Luke zugegangen sei, Ziel genommen und gefeuert habe. Statt dessen sagte Tom, dass Dad, nachdem er das Gewehr geladen und zugeklappt hatte, sich zu Luke umgedreht und einen Augenblick gezögert habe, dann habe er sich abermals umgedreht und Tom das Gewehr hingehalten. Er habe Tom das Gewehr angeboten   – wenn anbieten das richtige Wort war.
    Tom hatte erzählt, er habe nicht einschätzen können, auch nachdem er darüber nachgedacht hatte, ob sein Vater erst da auf die Idee gekommen sei oder ob er es die ganze Zeit vorgehabt habe und deswegen wollte, dass Tom   – speziell Tom, aus welchem Grund auch immer   – dabei war. Vielleicht war er auf die Idee gekommen, als er sie beide im Hof gesehen hatte, und hatte Tom ausgewählt.
    Jack hatte (in einer barmherzigen Anwandlung) gedacht, Dad habe möglicherweise Tom das Gewehr hingehalten, weil er plötzlich merkte, dass er es nicht über sich brächte. Aber Tom hatte Jacks Gedanken erraten und gesagt, so sei es überhaupt nicht gewesen. Sein Vater habe einen bestimmten Gesichtsausdruck gehabt, seine Stimme einen bestimmten Klang. Er habe gesagt: »Hier, mach du das.« Es sei kein Angebot gewesen, sondern einweiterer Befehl. »Wie ein noch mieserer Hund«, hatte Tom dann gesagt.
    Jedenfalls, Tom konnte es nicht tun. Er habe vor seinem Vater gestanden und den Kopf geschüttelt. Er habe das Gewehr nicht in die Hand nehmen können. Und vielleicht   – das sagte Tom zwar nicht, sondern es gehörte zu den Punkten, die Jack in seiner Fantasie hinzufügen musste   – sollte Tom es auch gar nicht tun. Es war einfach eine Täuschung, ein Spiel, damit Tom sich wie ein Wurm fühlte und wünschte, im Erdboden zu verschwinden.
    Mehrere Sekunden seien verstrichen, hatte Tom erzählt, während Luke regungslos auf seinem Fleck saß und sein Vater Tom das Gewehr hinhielt.
    Dann, erzählte Tom, habe sein Vater gesagt: »Nein? Du kannst es nicht? Aber es muss sein.« Er habe sich umgedreht, ein paar Schritte nach vorn gemacht und Luke zwischen die Augen geschossen. Ein Schuss habe gereicht.
    Und oben auf dem Hof, in der stillen Luft, hatte Jack den Schuss klar und deutlich gehört, wie etwas, das ihn selbst am Schädel traf.
    Tom hatte erzählt   – und es fiel ihm offensichtlich schwer, diese Einzelheiten wiederzugeben oder sich auch nur genau an sie zu erinnern, und später konnte Jack verstehen, wie ihm zumute war   –, dass Luke sich nicht abgewandt hatte, als Dad mit dem Gewehr auf ihn zu kam, dass er

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