Wärst du doch hier

wegen der Waghalsigkeit den Elementen gegenüber verunsichert. Auch die Landschaft von Sussex, die er nie zuvor durchquert hatte, schien ihm fremd. Schon bei der Überfahrt mit der Fähre war er angespannt.
    Es war ein Tatbestand, dass er, der Erfahrung und der Veranlagung nach, ein durchaus gewöhnliches Wesen war, nämlich ein Landmensch. Seine große Gestalt wies darauf hin. Er wusste seine Füße gern verankert auf festem Boden. Wie war er nur imstande gewesen, sich von einem Fallschirm, der von einem Boot gezogen wurde, in die Luft heben zu lassen? Aber es war auch ein Tatbestand, dass Jack ein Inselbewohner geworden war. Die Überfahrt war an sich schon eine beängstigende Sache, aber bei einer Reise in diese Richtung kam dazu ein zu leichter Übelkeit führendes Misstrauen beim Anblick des aufragenden Festlands   – wo seine Wurzeln und seine Vergangenheit dauerhaft lagen. Er spürte jetzt doppelte Angst, denn er wusste, auch wenn er das Festland erreichte, würde seine Beklommenheit nicht nachlassen. Er berührte die Medaille an seiner Brust, als böte sie ihm Schutz.
     
    Die Fähre tuckerte in das glitzernde Wasser hinaus, hielt sich eine Weile am bewaldeten Ufer, passierte den anderen Fähranleger in Ryde und steuerte dann in den Ärmelkanalhinaus, der hier Spithead hieß. Andere Fähren und ein paar Handelsschiffe waren hierhin und dorthin unterwegs, dazwischen kleinere Boote. Es entstand das Gefühl eines zufälligen Staffellaufs. Im blendenden Gegenlicht aus Osten erschienen die Umrisse der geduckten Inselbefestigungen.
    Die Küstenlinie am anderen Ufer blieb eine Zeitlang eine verschwommene, verbaute Masse, aus der der weiße Dorn des Spinnaker Tower hervorragte. Allmählich ließ sich Gosport von Portsmouth unterscheiden, dann Southsea mit seinem Strand von Portsmouth. Einzelne Gebäude blinkten und glitzerten.
    Die Fähre schwang hart herum und fuhr in den Hafen ein. Hinter der Befestigung der schmalen Hafeneinfahrt konnte man, so als klemmten sie zwischen den Straßen, die Masten der alten Schiffe,
Warrior
und
Victory
, sehen, und jenseits davon, am Ufer, den scharfen Bug eines vertäuten Marineschiffs, das Grau des Rumpfs und der Aufbauten fast zu Weiß gebleicht, und darauf ein Aprikosenschimmer von der aufgehenden Sonne.
    Jack hatte bei seinem Aufbruch noch etwas anderes in die Tasche gesteckt, seinen Pass nämlich. Major Richards hatte ihm gesagt, dass er den, neben den anderen Dokumenten, die ihm zugeschickt worden waren, brauchen würde, um sich auszuweisen, wenn er bei dem Luftstützpunkt ankam. Das Gesicht auf dem Foto in seinem Pass war dem mit dem Barett und dem Tarnfarbenhemd auf dem Foto in der Zeitung nicht unähnlich.
    Jack wusste sehr wohl, dass er seinen Pass nicht brauchte, wenn er in Portsmouth von der Fähre fuhr, aber er hatte das Gefühl, vielleicht doch. Im Grunde, obwohler seinen Pass bei sich hatte   – ganz zu schweigen von der Medaille für ehrenvolles Verhalten, die an seiner Brust ruhte   –, fühlte er sich wie ein Mann, der, sobald er seinen Fuß an Land setzte, auf der Stelle verhaftet werden würde.

17
    Nicht der Rinderwahn war für Tom der Auslöser gewesen, sondern Luke. In jeder Hinsicht.
    Als Tom sechzehn wurde, holte Michael ihn aus der Schule und machte ihn zusammen mit seinem Bruder zum Gefangenen auf der Jebb Farm. Vorbei das Herumschäkern mit Schulmädchen. Schon damals hätte er flüchten können   – auf demselben Weg, den er später einschlug. Aber er wartete, bis sein Vater nicht mehr die Macht hatte, ihn zurückzuholen, bis er selbst über sich bestimmen konnte. Und vielleicht war es auch, obwohl Vera tot war und das Leben auf der Farm eine aussichtslose Sache, noch nicht klar entschieden. Er wartete ab. Von sechzehn bis achtzehn. Dazwischen hatte der Rinderwahn getobt, aber dazwischen war auch Luke gewesen.
    Eine Art Gleitskala, die schräge Linie zwischen ihnen. Als Tom größer wurde, wandelte sich das Verhältnis zwischen Tom und Luke zu dem, was es einst zwischen Jack und Tom gewesen war. Als Tom nicht mehr zur Schule ging und die ganze Zeit auf der Jebb Farm war, wurde Luke irgendwie zu Toms Hund.
    Und auch das hatte Jack hingenommen. Luke war immer der Hofhund gewesen, der Familienhund (und erwar schon fast genauso lange da wie Tom), aber er war in besonderer Weise Jacks Hund gewesen. Mit schlackernden Ohren hatte er hinten im Pick-up gesessen, wenn sie zu Ellie rüberholperten. Aber dann wurde er Toms Hund. Es ging von Luke selbst aus,