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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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keine Wehrpflicht, das nicht, und sie hatten sich vor Jahren für diese Arbeit entschieden, die jetzt nicht völlig losgelöst von jener anderen zu sein schien. Corporal Luxton war noch nicht mal einunddreißig gewesen.
    Als Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens waren sie nicht unvertraut mit dem Zeremoniell, aber so etwas wie hier hatten sie noch nicht miterlebt, und die Chancen, Ähnliches ein zweites Mal zu erleben, waren gering. Es war ein Privileg und eine Ehre, das ließ sich nicht leugnen, und mit Sicherheit war es etwas Besonderes   – die Leiche eines Mannes zu befördern, der sein Leben für dieses Land, im Gefecht, gelassen hatte. Aber wenn Daves und Dereks Gedanken in diese Richtung wanderten, hatten sie den Hang, sich zu verirren. Jedenfalls war er aus dem Flugzeug getragen worden, hier in Oxfordshire, umwickelt mit einem enorm großen Union Jack.Der dann von denselben sechs Soldaten, die den Sarg getragen hatten, mit einem kräftigen Ruck vom Sarg gerissen wurde, wie eine kostbare Tischdecke, die schnell wieder in einer Schublade verstaut werden musste. Was wahrscheinlich auf Wunsch des Hinterbliebenen geschehen war   – des Mannes also, der gerade davongestapft war. Eigentlich hätten sie ein bisschen pikiert sein können. Denn ihnen war gerade die Gelegenheit entgangen, einen mit einem Union Jack verhüllten Sarg quer durch England zu befördern. Das hätte bestimmt einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mehr als ein gewöhnlicher Leichenwagen.
    Und wenn man es richtig bedachte, für jeden, der sich danach umdrehte, hätte es nur eins bedeuten können.
    Aber jetzt, da sie Jack kennengelernt und gesehen hatten, wie er sich an den Sarg geklammert hatte, und nachdem beide seine große Pranke geschüttelt hatten, waren sie sich nicht mehr ganz so sicher, ob ihnen was entgangen war oder ob sie eher froh waren, nicht mit der Fahne zu fahren. Auch waren sie sich nicht sicher, nach dem, was sie gelegentlich in den abendlichen Zehn-Uhr-Nachrichten gesehen hatten, ob der Ausdruck »im Gefecht« der richtige hierfür war.
    Jetzt mussten sie an ihren Aufbruch denken. Ein plötzlich aufkommender kalter Wind pfiff durch die Menge um die Leichenwagen, fuhr unter Kleider und Röcke, hob Krawatten von Jacketts hoch und ließ Hände nach Hüten greifen. Das Wetter änderte sich. Natürlich mussten sie den anderen beiden Leichenwagen Respekt erweisen. Ursprünglich war geplant, so hatten sie es verstanden, dass sie in einer langsamen Prozession losfahrensollten, die drei Leichenwagen hintereinander, durch das Haupttor und durch die Stadt. Die Idee hatte ihnen gefallen, aber wie würde das jetzt aussehen: zwei Särge mit Fahne, einer ohne? Und auch hierfür gab es keine festgeschriebenen Regeln. Sie mussten selbst die Initiative ergreifen   – ein bisschen wie Jack.
    Aber zu schnell loszufahren war auch nicht angemessen. So oft kam es nicht vor, dass man sich in der Gegenwart von drei Verstorbenen befand, und weder Derek noch Dave fühlten sich wohl in der seltsamen, bedrängenden Stimmung um sie herum. Mit ihrem Leichenwagen und dem ungeschmückten Sarg   – jetzt auch noch ohne den Haupttrauernden   – kamen sie sich vor wie die armen Verwandten bei einer Hochzeit. Andererseits leiteten sie daraus, dass ihr Sarg der eines Corporals war, während die anderen beiden einfache Gefreite gewesen waren, ein gewisses Gefühl des Vorrangs ab. Sie fuhren den mit dem Rang. Und daraus, dass die Armee nach ihrer prächtig dekorierten Parade die Befehlsgewalt an ein paar Männer in einfachem Schwarz abgegeben zu haben schien. Die Entscheidung war ihnen überlassen, und die Möglichkeit, selbstständig zu handeln, vermittelte ihnen ein seltsam erhebendes Gefühl.
    Sie sahen sich an, sahen dann auf die Uhr, wie Kutterkapitäne, die Ebbe und Flut abschätzten. Sie hatten bereits abgesprochen, dass Derek den ersten Abschnitt fahren würde. Als sie sich mit gemessener, stiller Würde in ihren Wagen setzten und den Motor anließen, waren sie einen kurzen Moment lang der Mittelpunkt abermals feierlicher Aufmerksamkeit, und die Anwesenden standen aufrecht und still. Und zweifellos der Anlass fürleichte Verwirrung, aber das war nicht zu ändern. Sie waren für Tom Luxton verantwortlich.
    Sie fuhren los, im Schritttempo entlang der Strecke, die sie gekommen waren. Damit rechnete niemand. Trotzdem blieben die Leute, die dort zu tun hatten, stehen und standen ein wenig verdutzt am Rand, als der Wagen vorbeifuhr, die in Uniform

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