Wärst du doch hier
zuständig, dass seine Kameraden das Bild möglichst schnell aus ihrem Kopf verscheuchten, musste er so tun, als hätte er Ähnliches schon oft gesehen, Dutzende von Malen sogar, und wüsste, wie man es vertrieb. Und das Einzige, was ihm geholfen hatte, war die Kuh im Fernsehen – die Erinnerung daran, wie sie auf der Jebb Farm vorm Fernseher gesessen und gedacht hatten: doch nicht bei uns.
Diese Bilder waren ihm durch den Kopf geschossen, während durch Ricky Willis’ Kopf weiß der Himmel was schoss. Das und die Tatsache, dass er selbst auch Scharfschütze war. Oder gewesen war. Jetzt war er eher ein gewöhnlicher Corporal, nur gelegentlich ein Scharfschütze. Wenn man einen Menschen erschießen wollte, dann sollte man das sauber erledigen, sodass der andere es gar nicht merkte. Es machte ihn wütend, dieser verfehlte Schuss eines Scharfschützen. Von da an herrschte das allgemeine Gefühl (es war schon da, aber die Sache mit Willis machte es schärfer): Wenn man dran war, und es konnte nichts Kleines, Nettes sein wie ein Fuß oder ein Ellbogen, dann sollte es etwas sein, das man nicht merkte, nicht so ein Murks wie bei Willis.
Ihm war der Gedanke gekommen, allerdings erst später, dass die Armee einen Trupp haben sollte, ähnlich wie die Schlächter vom Ministerium für Fischerei und Landwirtschaft, die umgehend kommen und einen Fall wie Willis erledigen würden. Es wäre eine Gnade und würdeeine Menge Unannehmlichkeiten ersparen. Man würde nur das tun, was jeder Soldat zu tun sich verpflichtet. Schließlich tat man es auch für Tiere.
Das Bild von Willis vertrieb er aus seinem Kopf, indem er an die Kuh dachte. Seltsam, dass es eine Kuh im Fernsehen war. Aber auch seine Abteilung, die B Company, gab es für die meisten Menschen in England nur in Fernsehbildern; allerdings wurden ihnen nicht Bilder wie die von Willis gezeigt. Und die Bilder im Fernsehen, damals auf der Jebb Farm, waren ja nicht spaßig. Immerhin standen im Stall lebendige Kühe. Es waren nicht nur Bilder, auch wenn sie da noch nicht wussten, dass die Sache genau auf sie zukam. Man konnte sagen, sie seien gewarnt worden.
Vielmehr
er
war gewarnt worden. Obwohl er sich damals noch nicht entschieden hatte. Die Entscheidung kam auf dem Barton Field. Schließlich tat man es auch für Tiere. Die Rinderkrankheit war, als sie kam, wie eine Warnung, aber keine endgültige. An Michael Luxton nagte schon eine Krankheit, die jetzt anfing, auch an ihm, Tom, zu nagen. Er war von seinem Dad infiziert worden. Jack war aus zäherem Stoff, vielleicht, aus besserem Stoff gemacht als er. Ein guter Bruder, ein besserer Bruder. Und manchmal ein besserer Vater als der eigene.
Nach dem Morgen mit Dad und Luke, unten auf dem Barton Field, beschloss er, nicht länger als nötig zu bleiben, sein Kopf voll schlechter Gedanken, die er, wer weiß, eines Tages umsetzen könnte. Sollte es ruhig so aussehen, dass der Rinderwahn sein Grund war. Was hätte er sagen können? Warum gehen wir nicht zusammen, Jack, wir beide, du und ich, warum setzen wir unsnicht einfach ab? Aber er hatte Jack genau in die Augen gesehen und erstens festgestellt, dass alles, was er sagte, bei Jack gut aufgehoben war, wie blinde Munition, und zweitens, dass Jack nicht mal im Traum auf diese Idee gekommen wäre.
Gut, dann konnte Jack alles haben. Alles, was er, Tom, zurückließ. Das sollte die Abmachung zwischen ihnen sein. Er würde niemals dagegen verstoßen oder seinen Anteil verlangen. Wenn damit das Gewicht der Schuldgefühle getilgt wurde, die in dem Moment in ihm aufstiegen, als Jack im Melkstall sagte: »Du kannst dich auf mich verlassen, Tom.« Wenn Jack dann der gute Bruder war und er der schlechte – ihm war es recht. Und wenn Jack der Dumme war und er der Schlaue – auch das war ihm recht. An seinem achtzehnten Geburtstag, um drei Uhr morgens, hatte er sich aus dem Haus geschlichen, wie ein Fuchs aus dem Hühnerstall. Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass er um drei Uhr morgens geboren worden sei, aber das hatte damit nichts zu tun, das war reiner Zufall. Und Jack hatte zu ihm gesagt, dass »geboren« kaum das richtige Wort dafür sei. Jack hatte gesagt: »Das war, als du endlich rausgekommen bist.«
Er hatte seinen Rucksack dabei und mehrere Lagen Kleidung angezogen – weniger zu schleppen –, gegen die Kälte. Ein paar Essensrationen (an das Wort sollte er sich besser schon einmal gewöhnen) hatte er in der großen Scheune versteckt. Und er hatte Jacks
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