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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Seite der Farm zu arbeiten hatte. Er würde auf dem Weg frühstücken.
    Jack hatte das mit dem Schreiben gesagt und musste an die erste Karte an Ellie denken (wobei er vor sich wieder den kleinen Klapptisch sah), aber es gab eine weitere schriftliche Mitteilung, die mit dem Moment im Melkstall zu tun hatte. Toms achtzehnter Geburtstag stand unmittelbar bevor. Was Tom gesagt hatte, traf zu: Niemand nahm von Geburtstagen Notiz, nicht seit Vera gestorbenwar. Trotzdem, Jack war in einer freien Minute in Leke Hill Cross bei Warburtons reingegangen. Hatten sie Glückwunschkarten, vielleicht sogar eine für einen achtzehnten Geburtstag? Ja, sie hatten eine. In der Klappkarte stand: »Jetzt bist du achtzehn! Und die Welt gehört dir!«
    Als Jack das Geschäft betrat, hatte er inbrünstig gehofft, dass weder Sally noch Ken Warburton hinter der Theke stehen würden, damit er sich mit ihnen nicht darüber unterhalten musste, dass Tom jetzt achtzehn wurde. Natürlich war er bereit, ihnen etwas vorzumachen   – wenn er schon seinem Vater etwas vormachen würde. Aber er hatte Glück. Der Laden und der ganze Platz davor wurde, so schien es, von einem Mädchen bewacht, das kaum alt genug wirkte, um schon aus der Schule zu sein, aber Jack wusste von irgendwoher, dass sie Hazel hieß und ungefähr so alt war wie Tom, mehr oder weniger, und als er seinen Blick über den schwarzen Pullover und die Wölbung ihrer Brüste gleiten ließ (während sie ihn ansah, als wäre er ein alter Mann), fragte er sich, ob Tom sie näher kannte.
    Jack hatte ein paar Worte auf die Karte geschrieben und sie an dem Nachmittag im zugeklebten Umschlag Tom mit den Worten gegeben: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« Tom hatte Jack angesehen und nach einer kleinen, forschenden Pause gesagt, er würde den Umschlag später aufmachen, da es noch nicht sein Geburtstag sei, richtig? Er würde ihn am Morgen aufmachen. Und Jack hatte gesagt: »Ist gut.«
    Dann hatte Tom gesagt: »Na, dann werde ich schon   …«
    Und Jack hatte gesagt: »Ich weiß.« Und dann sagte er:»Viel Glück, Tom. Ich werde an dich denken.« Vielleicht war es dumm, das zu sagen, denn genau das hatte er auf die Karte geschrieben.
     
    Und vielleicht war es dumm gewesen, Tom die Karte gegeben zu haben. Denn am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass Dad auch eine Karte für Tom besorgt hatte. Es widersprach allen Gewohnheiten der letzten Zeit, aber wie Dad selbst sagte: »Es ist sein achtzehnter, verdammt.« Doch zu dem Zeitpunkt war es offenkundig, dass Tom verschwunden war. Was Michael die Möglichkeit gab, eine große Sache aus der Karte zu machen, die er speziell für Tom gekauft hatte, indem er sie vor Jack zerriss. Nicht nur das, es war auch die gleiche Karte, die gleiche Karte mit einer erhabenen goldenen »18« vorne drauf und denselben Worten drinnen, die Jack gekauft hatte, und für die auch Dad in Leke Hill Cross gehalten haben musste, um sie zu kaufen. War dem Mädchen das aufgefallen?
    Natürlich hatte Jack nichts über seine eigene Karte gesagt, das ging auch nicht. Aber das hieß, dass sein Vater ihn drangsalieren und fragen konnte, wo denn seine Karte sei? Wenn er von all dem hier nichts gewusst hatte, wo war dann, verdammt noch mal, seine Karte für Tom? Und Jack fiel nichts anderes darauf ein, als zu sagen, er habe Toms Geburtstag vergessen.
     
    Tom hatte den ungeöffneten Umschlag im Melkstall in der Hand gehalten und gesagt: »Ich komme schon klar. Und ich denke an dich.« Und er hatte Jack mit einem Blick angesehen, der, dachte Jack, nicht nur der Blickeines Bruders war, sondern fast wie einer zwischen Vater und Sohn. Dann hatte er gesagt: »Danke, Jack. Danke für alles. Ich vergesse dich nicht.« Und Jack hatte nie aufgehört, sich über diese Bemerkung zu wundern.
    Dann hatten sie sich umarmt. Jack wusste nicht mehr, wer als Erster die Arme ausgestreckt hatte, aber vielleicht war das unerheblich. Das letzte Mal hatten sie sich umarmt, als Vera gerade gestorben war.
    »Drei Uhr«, hatte Tom gesagt.
    »Drei Uhr«, hatte Jack gesagt.
    Jack hätte es nicht wiederholen müssen, wie eine vereinbarte Verabredung, aber er wusste, warum, auch wenn er die Worte nicht aussprach: »Ich werde wach sein, Tom.«
    Und das war er auch. Er war fast die ganze Nacht wach geblieben   – was bei ihm eher selten vorkam   –, um sich zu vergewissern. Er war um drei Uhr wach und hörte Toms heimliche Vorbereitungen, während er selbst regungslos liegen blieb, als schliefe

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