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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Nacht. Wie in einem Akt der Selbstverleugnung hatte er etwas Billiges gesucht. Sollte er im Luxus schlafen, und sein Bruder schlief in einem Sarg? Er hatte sich für Okehampton entschieden, weil das ungefähr die richtige Entfernung von Marleston hatte. Es hätte auch Barnstaple sein können, das näher dran war, aber er hatte sich für Okehampton entschieden. Mit Sicherheit würde er nicht in unmittelbarer Nähe übernachten, im Crown zum Beispiel (falls es dort überhaupt Zimmer gab). Natürlich kannte er noch Leute, die ihn, in Anbetracht der Umstände,bei sich untergebracht hätten. Aber dieser Gedanke   – er war ja Jack Luxton, der sich vor zehn Jahren abgesetzt hatte   – war ihm schrecklich.
    Ihm wurde klar, als er nach Okehampton kam, dass er nicht im Voraus hätte buchen müssen, er hätte es einfach drauf ankommen lassen können. Mitte November war Okehampton nicht gerade ein begehrtes Reiseziel. Die Straßen waren kaum belebt, trotz einiger Andeutungen von Glitzerschmuck in den Schaufenstern, die auf ein Weihnachtsfest hinwiesen, das noch Wochen entfernt lag. Und als er das Globe Inn gefunden, den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt und das Haus durch die klappernde Tür betreten hatte, war er, wenigstens in diesem Sinne, froh, dass Ellie nicht dabei war. Ihr Geschmack und ihre Ansprüche waren in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen. Seine auch, wohl wahr, um mit ihren Schritt zu halten. Doch jetzt waren sie ihm rasch abhanden gekommen, ohne dass er es als demütigend empfand, sondern aus dem Gefühl heraus, ihm gebührte nur etwas unmittelbar über dem Niedrigsten.
    Es war Toms Rückkehr, und er, Jack, hatte sich für etwas Billiges entschieden. Aber nicht Tom würde hier übernachten.
    Das Globe war kaum mehr als ein Pub, aber das Fehlen eines bestimmten Stils war in gewisser Weise tröstlich, und als er ins Haus kam, war Tom da, nur kurz, in der kabuffartigen Rezeption. Als wäre sein Bruder da, ihn willkommen zu heißen (allerdings hatte er einen Helm mit Kinnriemen auf). Er stand da, die Hände auf die Theke gestützt. Dann war er verschwunden.
    Jack drückte auf die Klingel an der Theke   – nicht, dasser glaubte, seinen Bruder wieder herbeiholen zu können   –, worauf eine Frau angewackelt kam und ihm zulächelte. Auch das tröstete Jack und vertrieb sein Gefühl, dass es dumm gewesen war, im Voraus zu buchen.
    Er sagte seinen Namen und hörte, wie er in gedehntem Tonfall wiederholt wurde. »Lu-uxton«. Einen kurzen Moment lang hatte er Angst, man würde ihn erkennen. Bestimmt hatte sie den Namen in der Lokalzeitung gelesen, wo die Geschichte erschienen sein musste. Aber die Stimme (die im Tonfall eine Ähnlichkeit mit seiner eigenen hatte) verband keine Bedeutung damit. Die Frau nahm einen Schlüssel von dem Schlüsselbrett hinter sich und lächelte wieder. »Frühstück ist in der hinteren Bar   – da durch   – von sieben bis halb zehn.« Er fragte sich, ob er der einzige Gast war.
    Das Zimmer war besser, als er erwartet hatte, viel besser als die schlichte Zelle, die ihm seinem Gefühl nach zustand. Es gab ein großes Fenster, darunter einen Heizkörper, der kaum warm war. Er fand ein elektrisches Heizgerät und schaltete es ein, worauf es zu ticken begann, und zog die Vorhänge zu. Dann lag er eine Weile ausgestreckt auf dem Bett und hatte die Augen geschlossen. Das Bett unter ihm schien zu schaukeln und zu schwanken, als wäre er noch auf der Straße. Er sah das Flugzeug auf der Piste stehen.
    Er stand schnell wieder auf, als wäre es gefährlich zu ruhen. Seine Uhr zeigte an, dass es kurz nach fünf war. In seiner Tasche hatte er Kleidung zum Wechseln, nur für den Abend, damit er den Anzug schonen und am nächsten Tag mit einem frischen weißen Hemd tragen konnte. Als er ins Hotel gekommen war, steckte die Medaille inder Brusttasche des Jacketts. Jetzt legte er sie auf den Nachttisch. Er zog sich aus und hängte den Anzug auf einen Bügel. Im Badezimmer, in dem ungewohnten Spiegel und aus ungewohnten Blickwinkeln, fand er seine Nacktheit plötzlich befremdlich und erschreckend. Ob der Leichenwagen schon angekommen war? Hätte er draußen im Dämmerlicht auf ihn warten sollen? Er hätte ungern einen so großen Leichenwagen durch die engen Straßen mit den hohen Hecken, die es in der Gegend von Marleston gab, gesteuert, schon gar nicht bei hereinbrechender Dunkelheit. Er sah die Scheinwerfer über die Böschungen voller Wurzelgeflecht streifen.
    Was war in dem Sarg? Er

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