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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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ihm hätte fahren sollen?
    Es war noch dunkel gewesen. Sie hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Sie hatte die Decke fester um sich gezogen. Zwischen den Vorhängen wurde es kurz hell, als er die Scheinwerfer anschaltete, bevor er den Hügel runterfuhr. Als er losfuhr, fragte sie sich: Ob er zurückkommt? War dies eine Reise, von der er nie zurückkommen würde, und der dazu passende Aufbruch?
    Die Angst, dass er nicht zurückkommen könnte, hatte sich bei ihr eingenistet. Wie absurd. Sie hätte ja mitfahren können. Sie hatte massenhaft Nachrichten auf sein Mobiltelefon gesprochen, die er alle nicht beantwortet hatte. Gut, sie war selber schuld. Ich denke an dich. Ich liebe dich. Verzeih mir.
    Seltsamerweise hatte sie die ganze Zeit, die Jack fort war, kaum an Tom gedacht, der ja auf seine Weise zurückkam– zurückgebracht wurde   – in seinen Heimatort. Oder sich selbst in die schreckliche Lage einer Mutter oder Ehefrau versetzt, die ihren Soldaten-Mann oder Soldaten-Sohn zurückempfängt, aber doch nicht zurückempfängt. Sie hatte an ihre eigene Mutter gedacht, daran, dass sie zu ihr fahren und bei ihr sein wollte, und selbst das hatte sie nicht geschafft. Hatte es zweimal nicht geschafft. Alles, was sie wollte, war jetzt, dass Jack zurückkam.
    Dann war er zurückgekommen. Und doch nicht. Und jetzt schien es ihr, als könnte sie für alle Zeit in dieser Haltebucht sitzen.

25
    Jack bog mit dem Cherokee wieder in die Straße ein und fuhr schnell weiter, als wäre die Verzögerung nicht durch ihn selbst entstanden. Mit seinem Ausbruch hatte er kostbare Zeit verloren. Einerseits verstand er, dass der Sinn der ganzen Unternehmung der war, einen solchen Ausbruch zu haben. Das war das Wesentliche daran. Doch andererseits versuchte er, das, was ihn innerlich lähmte, zu überwinden. Er blickte in den Rückspiegel und rechnete halb damit, den Leichenwagen hinter sich zu sehen.
    Die Straße war in beide Richtungen leer. Der Novembertag wurde heller, die grauen Wolken brachen auf, sodass eine ganze Hügelkette plötzlich erleuchtet war, während alles andere in Dunkelheit versank.
    Er überquerte die noch junge Themse und kam wieder nach Wiltshire, aber die Landschaft und die Dörfer mit den unschuldig klingenden Namen machten ihn irgendwie niedergeschlagen, anders als am Morgen, als er von der nach Norden führenden Autobahn abgefahren war. Jetzt war er erleichtert, auf die M4 zu kommen und in ihre gleichförmige Anonymität gesaugt zu werden. Er sah sich lediglich als einen beweglichen Fleck auf der Landkarte   – auf der blauen Linie der M4, die sich wie ein Kabel über das Land schlängelte. Es gab nur die Straße, undsie hätte, trotz der Namen auf den Ausfahrtschildern, überall sein können. Chippenham? Malmesbury? Wo waren diese Orte?
    Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass der Platz neben ihm leer war, dass sein Leersein ihm ins Gesicht starrte. Was tat Ellie jetzt? Die Isle of Wight schien ihm in weiter Ferne, so fern, fast wie der Irak. Er konnte sich nicht vorstellen, was Ellie jetzt tat. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie jetzt im Cottage saß und sich vorzustellen versuchte, was er wohl tat. Und dass sie sich wünschte, doch neben ihm zu sitzen.
    Packte sie ihre Sachen?
    Ihm schien es, dass es jetzt einen Unterschied zwischen ihnen gab, einen Spalt zwischen Ellie und ihm, so deutlich wie der Streifen kabbeliger See, den er am Morgen überquert hatte. Ihr bedeutete Toms Tod lediglich, dass Tom für immer fort war und nie mehr zurückkommen würde. Er begriff, dass dies eine völlig vernünftige Position war. Aber für ihn bedeutete es, ebenfalls klar und deutlich   – auch wenn es viel schwieriger war, das zu erklären   –, dass Tom eben doch zurückgekommen war. Das verstand er jetzt wahrhaftig. Er war so eindeutig zurückgekommen, als wäre der Brief, der seinen Tod mitteilte, Tom selbst gewesen, der an die Tür klopfte. Kann ich reinkommen? Es war, als dürfte Tom, nachdem Jack dreizehn Jahre lang ohne ihn gelebt hatte, jetzt, da er tot war, nicht länger in seinem Leben fehlen. Er hatte versucht, von dieser unsinnigen, ihn verfolgenden Tatsache wegzufahren, und doch war es so.
    Es gab einen einfachen Test. Er stellte sich eine Frage, die er, obwohl sie vielleicht schon die ganze Zeit in ihmlauerte, bisher nicht zu stellen gewagt hatte. Vielleicht war es erst eine Frage geworden, als er nach der Zeremonie so plötzlich fortgestürzt war. Wen wollte er jetzt, in diesem Moment   –

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