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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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Gesprächen mit anderen über die Ereignisse   –, warum sein Vater genau diese Stelle und diesen Ort gewählt hatte. Von allen möglichen Stellen. Oder warum er, Jack, genau wusste, nachdem er einmal wach war, wohin er gehen musste. Das konnte er leicht erklären   – doch um es zu verstehen, musste man ein Luxton sein und sein Leben auf der Farm zugebracht haben   –, denn wäre er je selbst in eine solche Lage gedrängt worden (und bei den ersten Aussagen, die Jack machte, mussten an diesem Punkt seine Zuhörer, wozu unter anderen Polizisten und Gerichtsmediziner gehörten, die Augen abwenden, weil sie Zeugen einer heftigen Gefühlsaufwallung wurden), hätte er vermutlich dieselbe Stelle gewählt.
    Die Eiche, hätte Jack noch hinzufügen können, war laut Schätzungen über fünfhundert Jahre alt. Sie stand schon da, bevor das Haus gebaut wurde.
     
    Michael hatte dieselben Sachen angezogen, die er später am Morgen auch angezogen hätte, um die auf der Farm anfallenden Arbeiten zu erledigen: kariertes Hemd, dicker grauer Pullover, Kordhosen, lange Wollsocken in den Gummistiefeln   – all das zusätzlich zu der Winterunterwäsche   – langärmliges Unterhemd, lange Unterhose   –, in der er im Winter normalerweise auch schlief. Der Anzug, den er am Tag zuvor für ein paar Stunden getragen hatte, hing wieder (das stellte man später fest) ganz hinten im Schrank. Dann hatte er Mütze und Schal und seine Überjacke, die einen Riss im Steppfutter hatte, angezogensowie die dunkelgrünen Handschuhe mit den abgeschnittenen Fingerkuppen. Man könnte also sagen, dass er die Kälte deutlich gespürt hatte, da er sich so stark dagegen wappnete. Dabei war es nur die Macht der Gewohnheit. Die Kleidung war wie sein Winterpelz, den er nur zur Nacht ablegte. Außerdem hatte er ja tatsächlich eine Aufgabe zu erledigen. Und er musste sich versichern, dass seine Finger nicht vor Kälte taub und nutzlos waren.
    Er nahm das Gewehr aus dem Schrank und zwei Patronen Nr.   6 und lud das Gewehr damit, entweder da, im Licht der Küchenlampe, oder im letzten Moment draußen, in der Dunkelheit und Kälte. Ob da oder dort, die Handlung hatte etwas von Endgültigkeit.
    Es kam die Frage auf   – die Jack, da er selbst geschlafen hatte, nicht beantworten konnte   –, wie lange, falls überhaupt, Michael in der Nacht geschlafen hatte, kurzum, wie er den Entschluss zu dieser Tat gefasst und den Zeitpunkt gewählt hatte. Er hatte wohl kaum den Wecker gestellt. Jack fand keinen Abschiedsbrief, sagte dem Polizisten bei der Ermittlung aber nicht, dass er das nicht überraschend fand, und als er gefragt wurde, ob ihm am Verhalten seines Vaters am Tag zuvor etwas als merkwürdig aufgefallen war, erzählte er lediglich, dass sie zusammen um elf Uhr an der kurzen Remembrance-Zeremonie beim Kriegerdenkmal in Marleston teilgenommen hatten, was sie jedes Jahr taten, weil zwei Luxtons auf dem Denkmal vermerkt sind. Einer der Polizisten, der aus Marleston stammende Bob Ireton, konnte diese Aussage sofort bestätigen, da er selbst an der Zeremonie teilgenommen hatte, in Uniform und gewissermaßen in halboffiziellerFunktion. Es war also nicht ein typischer Sonntagmorgen   – sie zogen nicht jeden Sonntag Anzüge an   –, aber es war auch nichts Merkwürdiges daran, was PC Ireton durchaus verstand. Eher wäre es merkwürdig gewesen, wenn sie nicht gegangen wären. Das einzig Merkwürdige war, wie Jack bestätigte, dass Tom nicht dabei war (das ganze Dorf wusste, warum das so war) und dass sie anschließend nicht, wie üblich, auf ein Bier ins Crown gegangen waren.
    Und dabei hatte Jack es belassen.
    Es gab zwei weitere Besonderheiten in dieser (ohnehin schon sehr besonderen) Nacht, die er hätte erwähnen können   – abgesehen von der Besonderheit des Ortes, an dem die Tat vollzogen wurde, von dem Jack auf für ihn typische Weise behauptete, dass der keineswegs besonders war. Die eine bestand darin, dass er in der Nacht, als er so plötzlich geweckt wurde und aufsprang, nachdem er den Schuss gehört und gleich gewusst hatte, was er bedeutete, und noch bevor er sich anzog und (mit der Taschenlampe) aus dem Haus ging, natürlich einen Blick in das Schlafzimmer seines Vaters, das immer nur das große Schlafzimmer genannt worden war, geworfen hatte. Und da war ihm aufgefallen, dass auf dem Bettzeug, das kürzlich zurückgeschlagen worden war, eine zusätzliche Decke lag, eine Decke mit Schottenmuster. In einer kalten Nacht war an einer

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