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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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das bald abfallen würde, zählen können.
    Der Tag war so scharf gezeichnet und so glasklar wie Jacks Erinnerung daran, ein Tag, von dem man hätte sagen können, dass es ein feiner Tag für ein Ereignis war, was immer das Ereignis sein mochte. Auch für eine Remembrance Day-Zeremonie. Und als dieser feine Tag anders verlief   – und Michael nach der Zeremonie seine Entscheidung offenkundig machte, dass er nicht bleiben würde, dass er nicht ins Crown gehen und seinem älteren Sohn ein Bier spendieren und es damit zulassen würde, dass der Name seines jüngeren Sohnes im Gespräch erwähnt wurde, war es nicht das einfache, wenn auch beispiellose Sich-Drücken, das es zu sein schien.
    Es wäre an ihm, Jack, gewesen, etwas zu sagen? Sein Vater überließ es ihm? Aber er hatte nichts gesagt. Nicht am Anfang, als sich die kleine Gruppe am Kriegerdenkmalzerstreute, auch nicht, nachdem sie beide einen Moment an Veras Grab gestanden hatten, dann nicht auf dem Weg zurück, im funkelnden Sonnenschein. An der Einfahrt zur Farm hatten sie gehalten. Er hätte immer noch etwas sagen können. Aber er war ausgestiegen, um das Gatter zu öffnen, hatte es geschlossen, nachdem sein Vater durchgefahren war, und wusste dann, dass es eindeutig zu spät war.
    Er hatte den Riegel zurückgeschoben. Er erinnert sich genau. Zwei Männer, lachhaft in ihren Anzügen, die sie nur für diesen Tag rausgeholt hatten, in einem klapprigen alten Land Rover, dessen Auspuff schepperte und Qualm in die kalte Luft ausstieß; sein Vater hatte den Kopf   – mit dem ausnahmsweise gekämmten Haar   – nicht zur Seite gewandt, als er durch die Einfahrt fuhr, sondern bloß angehalten, mit lautem Krachen die Handbremse angezogen und auf seinen Sohn gewartet.
    Jack hatte das Tor zugemacht. Der blubbernde Land Rover war wie ein Tier, das er, nachdem es ausgebüchst war, zurückgeholt hatte. Es war allein seine Entscheidung gewesen. Vielleicht. Aber er hatte auch gedacht, als er seine Hand auf die kalte Holzsprosse legte, dann auf den noch kälteren, knirschenden Metallriegel: Du mieser Hund, dass du es mir überlässt, du mieser Hund, dass du nicht von selbst das tust, was der Anstand verlangt.
    Und das hatte er seitdem gedacht. Immer wieder war es ihm durch den Kopf gegangen. Es kam sogar in dem schrecklichen Traum vor, aus dem er Jahre später, in einem Hotelzimmer in Okehampton, aufschreckte. Das schlichte Öffnen und Schließen eines Gatters. Vielleicht hatte er es mit besonderer Wucht aufgerissen. Wenn erdoch nur die Entscheidung so beherzt getroffen hätte, wie er beherzt das Gatter aufgerissen hatte   – wenn er doch um Gottes willen seinem Vater bloß ein verdammtes Bier spendiert hätte   –, wie anders hätte alles, was danach kam, verlaufen können.
     
    In derselben Nacht   – so erzählte Jack es denjenigen, denen er es erzählen musste, und er musste es mehrmals erzählen und hatte immer große Mühe damit   – verließ Michael sein Schlafzimmer und das Haus zu einer sehr frühen Morgenstunde, möglicherweise gegen drei Uhr. Auch dies war eine kalte, stille, frostige Nacht, eine Nacht von der Art, in der niemand die Wärme seines Bettes oder gar sein Haus ohne guten Grund verlässt.
    Es gibt eine Version, die Jack nur sich selbst erzählt, eine vielfach durchgespielte Version, die mehr Raum für Details und Spekulationen lässt, aber im Wesentlichen ist es dieselbe Version, die er den anderen erzählte und die zu wiederholen er seit vielen Jahren zum Glück keinen Grund mehr hatte. Doch jetzt ist einer der Gründe, warum er am Fenster des Lookout Cottage steht, das hinter sich auf dem Bett geladene Gewehr, die plötzlich aufgekommene und sehr nahe Möglichkeit (die er unbedingt zu vermeiden hofft), dass er sie doch wiederholen muss.
    Michael hatte nicht getrunken, obwohl Alkoholkonsum keine unübliche Begleiterscheinung bei solchen Ereignissen ist, die damals, um diese Zeit, auf kleinen, am Rande des Ruins stehenden Milchfarmen der Region immer häufiger vorkamen. Zum einen waren die Luxtons ohnehin keine großen Alkoholkonsumenten, zum anderenhatte Michael selbst zur Mittagszeit die ein, zwei Pint nicht getrunken, obwohl es eine der seltenen Gelegenheiten war, zu denen man es von ihm hätte erwarten können.
    Auch Jack, der jetzt am Fenster steht, hat nicht getrunken. Er ist vollkommen nüchtern. Es ist nicht gut, betrunken zu sein, wenn man mit einem Gewehr umgeht, unter keinen Umständen.
    Michael ging in einer frostkalten Nacht im

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