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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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November aus dem Haus, lange vor dem Morgengrauen, und Jack überlegte später (auch andere stellten diese Überlegung an), warum sein Vater alles, was er tat, nicht nur in der Kälte, sondern auch bei Dunkelheit tat. Es war nicht so wie bei Tom, der mitten in der Nacht davongegangen war und alles heimlich machen musste. Oder vielleicht doch. Tom musste nur den Feldweg finden und ihn entlanggehen. Dads Weg war weniger klar markiert. Aber Dad kannte jeden Zoll auf der Farm und jedes Stück vom Barton Field in- und auswendig. Er kannte es besser als Tom. Er kannte es mit verbundenen Augen.
    So wie Jack es kannte und immer noch kennt. Er ist durchaus immer noch imstande, nach mehr als zehn Jahren, in denen er nicht da war, und in der Dunkelheit seines Kopfes, gewissermaßen, die Schritte seines Vaters in jener Nacht nachzuverfolgen, als wären es seine eigenen. Und gerade jetzt hat er ein besonderes und unvermeidbares Interesse, das zu tun.
    Jedenfalls war es eine klare Nacht. Die Sterne leuchteten, am Himmel stand der Mond, der fast voll war, wie Jack zu einem Zeitpunkt bemerkte, als der Mond über den Hügeln in der Ferne aufgestiegen war. Die Frage warnie wie, sondern warum. Warum in der
Kälte
– in einer solchen Nacht und in den kältesten Stunden vorm Morgengrauen? Aber vielleicht war die Antwort darauf einfach. Es war
sowieso
dunkel und kalt. Michael war in seinem Innersten dunkel und kalt. Es war November. Die Winterzeit auf einem Hof, der vor dem Ruin stand, erstreckte sich vor ihnen. Jack kann jetzt die Logik erkennen. Wäre es Frühling gewesen, hätte der erste Hauch von Wärme in der Luft gelegen, vielleicht   – es ist zumindest vorstellbar   – hätte Michael das, was er tat, nicht getan. Aber vielleicht ist es in Wahrheit auch so, dass solche Erwägungen, wenn man bereit ist, irrelevant sind. Man richtet sich dann nicht nach dem Wetter, das Wetter spielt keine Rolle.
    Auch jetzt ist November, wenn auch von Frost weit entfernt. Mit einem starken, feuchten, böigen Südwestwind.
    Das Entscheidende war vielleicht, dass es die Nacht nach dem Remembrance Sunday war.
     
    Jack, der gewöhnlich einen guten Schlaf hatte, fragte sich später, was ihn geweckt hatte. Der Schuss, natürlich. Doch wenn der Schuss ihn geweckt hatte, so dachte er später, dann hätte er ihn nicht
gehört
und er hätte sich trotzdem gefragt, was ihn wohl geweckt hatte. In Jacks   – verständlicherweise wirrer   – Schilderung der Ereignisse war in diesem Punkt die Verwirrung besonders groß. Er
hatte
den Schuss gehört, trotzdem hatte der Schuss ihn geweckt   – so als wäre er schon wach gewesen, um ihn zu hören, und hätte im Voraus gewusst, dass etwas Schreckliches passieren würde.
    Er war sich sicher, dass er seinen Vater nicht beim Verlassen des Hauses gehört hatte   – obwohl sein Vater Geräusche gemacht haben musste und wenigstens unten, als er das Gewehr aus dem Schrank holte, das Licht angeschaltet haben würde. Die Schranktür hatte ein unverkennbares Quietschen.
    Dann wiederum konnte der Schuss, bei geschlossenen Fenstern, nicht sehr laut zu hören gewesen sein, wenigstens nicht laut genug, um einen guten Schläfer zu wecken. In der klaren Luft wäre der Schuss über die Entfernung gut zu hören gewesen, das schon, und in der Stille der Nacht aufgefallen, auch war er von einer Stelle gefeuert worden, die näher war als die, an der ein Schuss Lukes Tod signalisiert hatte. Doch den Schuss damals hatte Jack draußen gehört, und er hatte ihn erwartet.
    Jack hatte immer behauptet, dass er den Schuss gehört hatte. Der Schuss hatte ihn entweder geweckt, oder Jack war durch einen geheimnisvollen Auslösemechanismus wach geworden und hatte ihn deshalb gehört. Aber gehört hatte er ihn. Und er hatte sofort gewusst, woher er kam und was er bedeutete. Es hätte ebenso gut, wie Jack manchmal in für ihn ungewöhnlich ausdrucksvollen Worten sagte, der lauteste Schuss der Welt gewesen sein können.
    Und natürlich hat er darüber nachgedacht, wie es gewesen wäre, wenn er den Schuss
nicht
gehört hätte, wenn er weitergeschlafen hätte. Und natürlich hat er sich immer wieder Vorwürfe gemacht (dies versicherte er am Morgen auch den anderen), dass er nicht eher aufgewacht war. Wäre er gar nicht aufgewacht, hätte er die Entdeckung erst nach und nach gemacht. Sein Dad wäredann vielleicht wie ein Eisblock gewesen. Aber hätte das die Sache schlimmer gemacht?
    Jedoch hat Jack sich nie gefragt   – wenigstens nicht in

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