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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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zusätzlichen Decke an sich nichts Besonderes, sodass in dieser Hinsicht eine Erwähnung nicht lohnenswert war. Nur Jack wusste, dass er diese Decke nie zuvor über das Bett seines Vaters gebreitet gesehen hatte. Nur Jack kannte die Geschichte mit der Decke.
    Jack erwähnte auch nicht   – war es relevant?   –, dass aufderselben Wiese, ein Stück weiter unten, ein Hund begraben lag.
    Die zweite Besonderheit   – diese erwähnte Jack, obwohl die Polizei sie bald selbst entdeckt hätte   – war die, dass Michael in der Nacht, beim Anziehen, eine Medaille in die Brusttasche seines Hemdes mit dem durchgescheuerten Kragen hatte gleiten lassen. Es war natürlich dieselbe Medaille, die, wie Jack wusste, am Tage in der Tasche seines Anzug gesteckt hatte.
    Warum die Medaille später in seiner Hemdtasche war, konnte jeder auf seine Weise beantworten, aber es bedeutete   – etwas, auf das Jack in seiner Aussage nicht einging   –, dass sie ihm in den Stunden dazwischen gegenwärtig gewesen sein musste und er sie wahrscheinlich zu keinem Zeitpunkt in das mit Seide ausgeschlagene Kästchen zurückgelegt hatte. Vielleicht hatte er sie auf den Nachttisch gelegt, als er zu Bett ging und bevor er einschlief, falls er in jener Nacht überhaupt geschlafen hatte. Vielleicht hatte er sie auch   – ein Gedanke, der sich erst Jahre später in Jacks Gedanken herausschälte   – in der Hand gehalten.
    Alle diese Überlegungen brauchten für die Polizei und später für den Gerichtsmediziner, fand Jack, nicht von Interesse zu sein. Ebenso wenig wie es für sie von Interesse zu sein brauchte, dass Vera in demselben Bett, auf dem jetzt die Decke mit dem Schottenmuster lag, gestorben war (und ihr Tod war keineswegs schnell gewesen). Noch, dass er darin geboren und, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch gezeugt worden war.
    Hingegen war es eine Tatsache, dass Michael bei seinem Tod die Ehrenmedaille sozusagen getragen hatte.
    Als die Polizisten ihn fragten, wie Jack das so schnell entdeckt hatte   – schließlich hatte sein Vater über dem Hemd zwei Schichten dicker Bekleidung getragen, außerdem stürzte vieles andere auf Jack ein   –, hatte Jack gesagt, dass er mit der Hand unter der Jacke seines Vaters gefühlt hätte, um zu erspüren, ob das Herz noch schlug. Die Polizisten hatten ihn angesehen. Hätten sie keine Rücksicht auf seine Gefühle nehmen wollen, hätten sie vielleicht gesagt: »Er hatte sich gerade das Gehirn weggeblasen.« Trotzdem hatte Jack benommen und stur darauf beharrt, dass er das Herz seines Vaters hatte spüren wollen, er hatte seine Hand darauf legen wollen. Das war seine Reaktion gewesen. Er sagte jedoch nicht, dass er weniger ein schlagendes Herz zu fühlen gehofft hatte   – was tatsächlich sehr unwahrscheinlich gewesen wäre   – als prüfen zu wollen, ob unter dem alten grauen Pullover noch eine Spur lebendiger Wärme in der Leiche seines Vaters geblieben war, in dieser kalten Nacht.
    Aber er hatte gesagt, er habe etwas Hartes gefühlt. Das waren die Worte, die er gesagt hatte: Er habe »etwas Hartes gefühlt«.
    Als Jack das sagte, wandten die beiden Polizisten   – Ireton und Sergeant Hunt vom Ermittlungsdienst   – die Blicke ab. Jack stand offensichtlich unter Schock und großer Anspannung. Weiß der Himmel, in welchem Zustand er war, als er die Leiche fand. Bob Ireton kannte Jack als jemanden, der eher phlegmatisch und unerschütterlich war. Jetzt wirkte er, für seine Verhältnisse, ziemlich verstört. Bob war mit Jack zur Schule gegangen. Das mit Jack und Ellie Merrick hatte er von Anfang an gewusst   – wie das restliche Dorf auch. Abgesehen vonEllie und Jacks Bruder, der sich kürzlich aus dem Staub gemacht hatte (und der später, wie Bob feststellte, nicht zu der Beerdigung kam) stand Jack sozusagen allein in der Welt.
    Bob Ireton hatte den dringenden Wunsch   – für den ihm übergeordneten Polizisten in Zivil konnte er nicht sprechen   –, den ganzen Schlamassel so schnell wie möglich zu bereinigen und dem einsamen Hinterbliebenen weitere unnötige Torturen zu ersparen. Armer Kerl. Arme Kerle. Alle beide. Bobs Sicht von der Sache   – auch hier konnte er nicht für seinen Kollegen sprechen   – war klar und zugleich rücksichtsvoll. Michael Luxton hatte sich mit einem Gewehr erschossen. Sein Sohn hatte die Tatsache entdeckt und ordnungsgemäß den Behörden gemeldet. In nicht allzu ferner Zukunft   – eine kleine Verzögerung würde es wegen der Obduktion geben

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