Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
Vom Netzwerk:
  – müsste der arme Jack wieder in dem Anzug, den er nur selten trug, den er aber zufällig am Tag vor dem Todesfall getragen hatte, am Grab seines Vaters stehen.
     
    Dies war mitnichten das erste Mal, dass Constable Ireton nach dem Selbstmord eines Farmers zum Tatort gerufen wurde. Nach der Rinderkrankheit hatte es eine langsame, viel kleinere Epidemie gegeben, die vielleicht noch bestürzender war. Ein oder zwei Farmer hatten sich an einem Balken in der Scheune (in Sichtweite wiederkäuender Kühe) erhängt, andere griffen zum Gewehr. Ein Gewehr war nur geringfügig schlimmer. Offen gestanden maß Bob den merkwürdigen Details der Umstände, die einen Selbstmord begleiteten, den seltsamen Dingen, die ihm vorausgingen, den seltsamen Dingen, die ihn auslösten(was kein gutes Wort war), wenig Bedeutung bei. Es war immer ein Fall extremen Verhaltens. Wer konnte schon sagen, was
man selbst
tun würde (ein Gedanke, den man nicht verfolgen sollte und der außerdem unprofessionell war)?
    Doch bedauerlicherweise war ihm die Sache selbst nicht fremd, sie überraschte ihn auch nicht mehr. Die Gründe lagen ja auf der Hand   – man musste sich nur umsehen. Er war froh, wenn auch mit etwas schlechtem Gewissen, dass er Polizist war und seinen regelmäßigen Polizistenlohn bezog, während um ihn herum die Farmer untergingen. Eigentlich hätte er innerhalb der Gemeinschaft wie ein Außenseiter sein sollen   – zwar Polizist, aber ein Vogelfreier, gewissermaßen   – eine zu Hause gebliebene Version von Tom Luxton, der zur Armee gegangen war. Er wusste, dass der Hof der Luxtons, besonders nachdem Tom ihm seine Arbeitskraft entzogen hatte, am Abgrund stand. Nichts daran war überraschend, und am besten klärte man alles, so gründlich es irgend ging.
    Hätte man ihm gesagt, als er Polizist wurde, dass er eines Tages mit all den schrecklichen Konsequenzen des sogenannten Rinderwahns zu tun haben würde, hätte er gesagt, allein die Idee sei des Wahnsinns. Obwohl er nicht nach einem ruhigen Leben gestrebt hatte und es auf dem Lande durchaus Verbrechen gab, hatte er dennoch nicht angenommen, dass er eines Tages zum Inspektor von Unglück werden würde. Eine echte Beförderung zum Inspektor sah er für sich nicht (auch nicht, so wie er das einschätzte, für Sergeant Hunt).
    All das war Jahre vor der Maul-und-Klauen-Seuche (bis dahin hatte er es wenigstens zum Sergeanten gebracht).Wieder tote Kühe   – riesige, zischend brennende Haufen. Und ein paar mehr Todesfälle in der »Farmergemeinschaft«. War es Jack Luxton, von dem er diesen Ausdruck gehört hatte?
    Arme Kerle. Arme Tiere. Alle miteinander.
     
    Michael ging über den Hof, an der kleinen Scheune vorbei, wo der Pick-up und der Land Rover und die Düngemaschine standen, und kam durch das obere Tor zum Barton Field. Die Wiese, nur sechs Hektar groß und merkwürdig geformt, oben schmal zulaufend, dann, hügelabwärts, sich weitend, war die dem Haus am nächsten gelegene, und ihr oberes schmales Ende reichte bis zu der Ebene, wo die Farmgebäude standen. Wegen ihrer ungewöhnlichen Form war die Wiese besonders schwer zu bearbeiten, aber es war die Hauswiese der Farm, und vom Haus aus hatte man einen Blick darauf. Der obere Teil war am steilsten, danach fiel sie allmählich, sanfter ab und lief zu einem flachen Stück aus, das selbst von den oberen Fenstern des Hauses nicht zu sehen war. Doch das machte den Ausblick umso schöner, denn vom Haus aus blickte man über das abfallende Land zu den Waldungen im Tal und den jenseitigen Hügeln, aber hauptsächlich sah man   – perfekt platziert zwischen Vordergrund und Hintergrund   – das ausladende obere Drittel der einzelnen Eiche, die in der Mitte der Wiese da stand, wo das Land ins Flache überging. Der dicke Stamm der Eiche war nicht zu sehen, ebenso wenig wie die kräftigen, sich ausbreitenden Wurzeln, die sich zum Teil oberhalb des Erdreichs erstreckten. Aber zwischen den Wurzeln, wo kein Gras mehr wuchs, waren kleineKuhlen voll mit derselben rötlichen Erde, die Jack auf den letzten Meilen seiner merkwürdigen Reise nach Westen aufgefallen war. Die Wurzeln selbst waren dick und gefurcht und formten kleine Simse oder Sitze, für ein Schaf oder für einen Menschen.
    Die Eiche verbrauchte natürlich viel von der Weide, auf der sie stand   – ihr einziger Nutzen war, Schatten für die Tiere zu spenden   –, aber sie war ein Prachtstück. Sie stand schon mindestens so lange da, wie Luxtons das Land gehörte. Sie

Weitere Kostenlose Bücher