Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
wir den Hafenmeister?«
»Quatsch. Ich geh erst mal selbst rüber. Vielleicht ist ja doch alles okay, und es gibt dafür einen Grund.« Ralf war immer so anpackend, diesmal jedoch hatte Angelika Befürchtungen.
»Sei vorsichtig«, riet sie, während ihr Gatte schon auf die andere Jacht hinüberkletterte. Angelika war wirklich nicht wohl bei der Sache. »Komm wieder rüber«, bat sie. »Lass uns zum Hafenmeister gehen, der regelt das schon. Dafür ist er da.«
Ralf schüttelte den Kopf und lief nach vorn zur Plicht. »Hallo? Wir sind von der ›Angelika‹ und möchten in der nächsten Stunde ablegen«, rief er erneut. Immer noch kam keine Antwort. Er warf ihr über die Schulter einen beruhigenden Blick zu, drehte sich wieder nach vorn, und Angelika sah, wie er erstarrte.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Hier sieht's aus, als habe jemand heftig geblutet und alles wegwischen wollen.«
Angelika wurde die Sache unheimlich. »Komm wieder rüber«, bat sie.
»Ach Quatsch.« Ralf kratzte sich am Kopf. »Wahrscheinlich haben die gestern nach dem Anlegen noch mehrere Einlauf-Bierchen getrunken. Vielleicht ist eine Flasche kaputtgegangen und jemand hat sich daran geschnitten. Die liegen sicher noch in sauer. Ich guck mal nach. Die Roll-Luke ist nicht gesichert.« Schon machte er sich an der Luke zu schaffen.
»Ralf. Bitte.« Angelika hielt das für keine gute Idee. Aber Ralf ignorierte sie und stieg mit einem nochmaligen »Hallo?« in den Bauch des anderen Schiffes hinunter. Das Frösteln, das Angelika in diesem Moment empfand, wurde nicht vom Wind verursacht.
Es dauerte keine zwei Minuten, bis Ralf wieder an Deck erschien. Er war kreidebleich. »Ruf die Polizei. Ich geh zum Büro des Hafenmeisters«, sagte er mit einem Kratzen in der Stimme, »da unten liegt eine tote Frau.«
***
Kriminaloberkommissarin Oda Wagner lehnte sich an die Arbeitsfläche ihrer Küche, biss in eine halbe Scheibe Graubrot mit Erdbeermarmelade und sprach mit vollem Mund. »Du musst noch deine Rumpelkammer ausmisten.«
»Och Mama! Mach ich ja.« Alex, ihr siebzehnjähriger Sohn, saß vollkommen entspannt am Küchentisch, studierte den Sportteil des »Wilhelmshavener Kurier« und sagte, als sei der Umzug eine lästige Nebensache und in keinster Weise der Rede wert: »Barcelona hat klar gegen Manchester United gewonnen. Drei zu eins. Die haben aber auch gezaubert, Mannomann.«
»Alex. Fußball interessiert mich jetzt nicht. Du musst deinen Saustall ausmisten und Kisten packen, bis Samstag ist es nicht mehr lang.«
»Mama. Heute ist Dienstag. Bis Samstag hab ich noch jede Menge Zeit. Keine Panik, es klappt schon alles.« Er lächelte ihr aufmunternd zu, doch im Gegensatz zu sonst wirkte es heute nicht beruhigend auf Oda. Sie fühlte sich mehr als angespannt.
In den letzten Nächten war sie immer wieder hochgeschreckt und hatte sich gefragt, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Viel Schlaf hatte sie deshalb nicht bekommen, und dass Alex alles so gelassen anging, machte die Sache für sie nicht einfacher. Immerhin würde der Umzug ihr Leben verändern, auch wenn sie sich immer wieder selbst zu beruhigen versuchte, indem sie sich sagte, dass sie ja keinen Ehevertrag unterschrieb, sondern lediglich mit Jürgen eine gemeinsame Wohnung bezog. Dennoch: Ihr kleines Nest aufzugeben, in dem sie seit dem Scheitern ihrer Ehe mit ihrem Sohn Alex gewohnt hatte, war kein leichter Entschluss gewesen. Oda war stolz darauf, in ihrem Leben und dem ihres Sohnes alles allein auf die Reihe zu bekommen und auf keinen angewiesen zu sein, und sie hatte sich fest vorgenommen, ihre Eigen- ständigkeit nicht an der neuen Wohnungstür abzugeben. Gleiche Augenhöhe, das war das Maß, das sie an ihr Zusammenleben mit Jürgen legte. Denn noch einmal wollte sie eine solche Verletzung wie die, die ihr Exmann ihr zugefügt hatte, nicht zulassen.
Eigentlich hatte sie sich damals sogar vorgenommen, das Kapitel Männer gänzlich aus ihrem Leben zu streichen. Das hatte auch super geklappt, bis ihr Jürgen über den Weg gelaufen war. Jürgen Töpfer, der gerade beim »Wilhelmshavener Kurier« angefangen hatte, war damals in die Polizeiinspektion gekommen, um sie über den Mord an einem Museumsdirektor zu befragen. Zunächst hatte sie den Verdacht gehegt, Jürgen würde sie lediglich als Informationsquelle nutzen und ihren Single-Status dementsprechend gnadenlos missbrauchen wollen, aber sie hatte schnell festgestellt, dass Jürgen an der Person Oda
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