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Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi

Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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auch ein Langweiler, der sich längst für so wichtig hielt, dass er an einem Gespräch gar nicht mehr interessiert war, sondern bloß an simpler Selbstinszenierung. War schon vorgekommen.
    Das Telefon läutete. Es war die Chefsekretärin, die Wert darauf legte, als Chefsekretärin bezeichnet zu werden. Mit ihrer Kollegin war ich fast befreundet. Ich sollte sofort zum Chefredakteur kommen. »Sofort«, wiederholte die Chefsekretärin in einem Ton, der ins Sadistische ging, was ihr sehr gut zu gefallen schien.
    Ich machte mich auf den Weg. Normalerweise sprach man mit dem Chefredakteur in, vor oder nach Redaktionssitzungen. Oder wenn er durch die Großraumbüros schlenderte. »Mira, die Tochter«, nannte er mich gerne in Anspielung auf meinen prominenten Vater. Dabei war er gerade ein Jahr älter als ich. Wie sehr ich das schätzte, war klar. »Er fürchtet sich vor dir«, behaupteten meine beiden Tischkollegen. »Du bist ihm zu viel.« Ich wollte trotzdem Mira oder Frau Valensky genannt werden.
    Der Chefredakteur lag ganz hinten in seinem Chefredakteurlederschreibtischsessel. Er sah mich schweigend an. Ich sah ihn schweigend an. Im Schweigen war ich gut. Der Chefredakteur zwinkerte, kippte nach vorne und schaute mich aggressiv an, wie er es in diversen Seminaren für Führungskräfte gelernt hatte. »Sie haben Mist gebaut.«
    Ich war mir keiner Schuld bewusst. Was war meine letzte Story gewesen? Ich konnte mich im Moment nicht daran erinnern. »Aber …«, sagte ich und ärgerte mich über mein Verstummen.
    Der Chefredakteur hob die letzte Nummer des »Magazins« hoch und ließ sie wieder auf den Schreibtisch fallen. Ich spähte auf die aufgeschlagene Seite. Klatsch und Tratsch. Da war bloß meine kleine Geschichte über eine alternde Diva abgedruckt.
    »Mehrere hundert Jahre hatten sich an einem Tisch versammelt. Da war die Diva selbst, mit Jahresringen am Hals wie eine alte Eiche und ebenso vielen Diamantringen an den Fingern, da war ihr ehemaliger Partner, der sich barmherzigerweise schon vor einigen Jahren in den Ruhestand begeben hatte, einige Verehrer, die die Diva noch aus ihren Jugendtagen kannte, und ein weit jüngerer Mann, der – es ist wahr – eine Samtmasche trug, wie weiland schmachtende Verehrer. Es …«
    »Na ja«, sagte ich, »wenn Sie das gesehen hätten …«
    »Und wenn der Junge bis auf seine Masche nackt gewesen wäre! Und wenn der Alte auf dem Tisch Tango getanzt hätte und die Diva schon nach Formalin gestunken hätte! Ihrem Mann gehört Mega-Kauf! Mega-Kauf!« Er starrte mich erwartungsvoll an. Über den Fernsehschirm flimmerten Teletext-Nachrichten. Ich konnte sie auf die Entfernung nicht lesen. »Ich weiß«, sagte ich. »Er kam erst später.«
    »Sind Sie wirklich so naiv?«, fragte der Chefredakteur.
    Ich begann etwas zu zittern. Tränen traten mir in die Augen. Warum schaffte es dieses Weichei, mich dermaßen wütend und hilflos zugleich zu machen? Ich hasste solche Situationen. Verdammt. Meine Stimme klang trotzdem kühl: »Sie wollten, dass ich der Tratsch- und Klatschseite etwas Pfeffer gebe, und das tue ich. Und wenn Sie …«
    »Mega-Kauf ist unser zweitgrößter Anzeigenkunde!« Das war beinahe gebrüllt.
    »Hat man sich beschwert?«, fragte ich.
    »Noch nicht, aber ich will auch gar nicht, dass es so weit kommt.«
    Dieser feige Hammel. Ich hörte auf zu zittern. So ein lächerlicher feiger Typ.
    »Gesellschaftsreportagen wirken vielleicht harmlos, aber sie sind hochexplosiv. Hochexplosiv! Ohne das nötige Feingefühl kann man großen Schaden anrichten.«
    Gefühl für wen oder was?
    »Ich will Ihnen noch eine Chance geben. Sie bekommen sogar eine Sonderaufgabe. Sie werden die menschlichen Seiten des Präsidentschaftswahlkampfes schildern, den Favoriten begleiten, das Fleisch zur trockenen Politik liefern. Eine neue Perspektive, lifestyleartig aufgemischt. Exklusiv von Mira, der Tochter.«
    Ich starrte ihn an. Das war das Letzte. Wahlkampf. Das Menschliche daran. Ich dachte an mein überzogenes Konto. Ich hätte im Veneto doch nicht jeden Abend das große Menü bei Armando essen sollen. »Okay«, sagte ich.
    »Politik. Da können Sie – was Anzeigenkunden betrifft – nichts anrichten. Die sind auf uns angewiesen und nicht umgekehrt. Und …«, er lächelte beinahe gütig, »… Sie haben ja einen hübschen Schreibstil. Beobachten Sie. Kümmern Sie sich um Details. Aber ohne Giftspritze! Vielleicht hie und da mit einem Augenzwinkern, das unsere Unabhängigkeit erkennen

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