Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
meinem Interview sollte es allerdings mehr um den Menschen als um seine politischen Ansichten gehen. So jedenfalls lautete der Auftrag meines Ressortchefs. Mir war es recht. Politik war mir ohnehin zuwider. Lifestyle, in diesem Ressort war ich gelandet, weil ich viel über das Leben in New York erzählen konnte. Immerhin: Ich arbeite beim größten Wochenmagazin des Landes. Und unter die Rubrik Lifestyle fällt heute vieles. Ich würde den Schweizer fragen, warum er sich mit nichts Interessanterem als mit Politik oder gar Politikern beschäftigte.
Ich dachte kurz an meinen Vater. Er war Obmann des Pensionistenverbandes und fuhr von einer Versammlung zum nächsten Begräbnis und von dort zu Unterstützungsaktionen für irgendwelche Abgeordneten. Mein Vater war Landesrat gewesen. Ich kannte ihn nicht wirklich gut. Mehr aus den Medien, aber das hatte mich seltsamerweise nie gestört. Gestört hatte mich nur der Auftrieb, der einige Male im Jahr durchgestanden werden musste und bei dem der Herr Landesrat seine Familie in der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Meine Mutter war immer schon Tage zuvor nervös gewesen. Und ich war als Kind von diversen Männern und Frauen in die Wangen gekniffen worden, in späteren Jahren dann von diversen Männern in diverse andere Körperteile. Irgendwann habe ich angefangen zurückzukneifen.
Affentheater. Ich sollte wieder einmal Mutter anrufen. Ich dachte schnell an etwas anderes. Kein Grund, sich die gute Stimmung verderben zu lassen. Die Familie war weit weg. Und mit Politik hatte ich nichts zu tun.
In der Redaktion war es stickig heiß. Offenbar funktionierte die Klimaanlage nicht, und niemand war auf die Idee gekommen, wenigstens die Fenster aufzumachen. 21 Schreibtische standen in dem Großraumbüro, das sich die Redaktionen Lifestyle, Sport und Kultur teilten. Aber wahrscheinlich war es besser, die Fenster geschlossen zu halten. Auch draußen war es heiß – erstaunlich heiß für Ende August, und es stank nach Abgasen. Ich dachte an die Pinie, unter der ich im Park des Hotels die meisten Tage verbracht hatte. Gianni hatte mir seinen Spezialdrink serviert: Prosecco, Mineralwasser, viel Eis und ein Spritzer Campari.
Ich teilte mir mit zwei Kollegen einen Schreibtisch und ein Telefon. Sie waren wie ich fixe freie Mitarbeiter. Beide waren unterwegs. Gut, so hatte ich den Schreibtisch für mich allein. Fix frei, wie paradox. Dauernd da, dauernd bereit, Aufträge entgegenzunehmen, und dennoch nicht fix bezahlt, sondern bloß pro abgeliefertem Artikel. Fix bezog sich auf die Dienstverpflichtungen, frei auf die Bezahlung. So what? Die Bezahlung war nicht übel.
Ich sah mein Postfach durch. Ende August, da sammelte sich in einer Woche nicht so viel an wie sonst. Zwei Dutzend Presseaussendungen, darunter eine von einer Werbeagentur, die Motorräder speziell für Ladies anpries. Vielleicht etwas für Vesna. Ein Stapel Einladungen. Darunter eine für die Präsentation des Buches »So werde ich erfolgreich« von Chloe Fischer. Das war doch die Tussi, die schon … Ja, da stand es, die schon »So setze ich mich durch« geschrieben hatte. Geschraubte Gesellschaftsgurke, die sich als Powerfrau feiern ließ. Aber Erfolg hatte sie, das musste man ihr lassen. Vielleicht sollte ich auch ein Buch schreiben und berühmt werden und dann im Veneto … Ach ja, Chloe Fischer managte jetzt den Wahlkampf von Wolfgang A. Vogl. Auch so ein peinlicher Typ, der Präsidentschaftskandidat. Aalglatt und ziemlich beliebt. Ständig lächelnd. Er galt als modern. Auch sehr erfolgreich. Danke.
Ich bereitete mich auf mein Interview vor. Einige Artikel des Autors hatte ich mir zur Seite gelegt, und sein letztes Buch »Kühle. Nächte.« hatte ich mit großer Freude und ganz freiwillig gelesen. Obwohl ich den Punkt nach »Kühle« und »Nächte« affig fand. Nicht, dass ich mir immer so viel antat. Ich hatte sehr schnell herausgefunden, wie leicht man ohne viel Vorwissen dennoch die richtigen Fragen stellen konnte. Es kam meiner Faulheit und auch einem gewissen Spieltrieb entgegen, wenn sich erst während eines Gesprächs für mich herausstellte, worum es überhaupt ging. Machte die Sache irgendwie spannender.
Ich begann mich auf das Treffen zu freuen. Ich würde mir mehr Mühe geben als sonst. Vielleicht brauchte ich bald keine Aufträge für die Klatsch- und Tratschseite mehr anzunehmen. Langwierige Abendtermine mit Leuten, die sich als Creme de la Creme der Gesellschaft sahen. Aber vielleicht war der Autor
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