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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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er ein Hallo, und ich rief ihm zu, er solle heraufkommen. Schon bevor er ganz oben war, sah er die große Leinwand auf der Staffelei. »Heilige Scheiße, amigo , als du Porträt gesagt hast, hab ich mir vorgestellt, du meinst, vom Kopf.«
    »Das habe ich ungefähr vor«, sagte ich, »aber ich fürchte, dass es nicht ganz so realistisch ausfallen wird. Ich habe schon ein bisschen vorgearbeitet. Hier, sieh’s dir an.«
    Die geklaute Röntgenaufnahme und die Sharpie-Skizze lagen im untersten Fach meiner Werkbank. Ich drückte sie Wireman in die Hand, dann setzte ich mich wieder vor meine Staffelei. Die dort stehende Leinwand war nicht mehr reinweiß und leer. Im oberen Viertel war schwach ein Rechteck zu erkennen. Ich hatte es gezeichnet, indem ich die Hemdeinlage auf die Leinwand gehalten und ihre Umrisse mit einem Bleistift der Härte B nachgezogen hatte.
    Wireman sagte fast zwei Minuten lang nichts. Er betrachtete abwechselnd die Röntgenaufnahme und meine danach angefertigte Zeichnung. Zuletzt fragte er mit fast unhörbar leiser Stimme: »Wovon reden wir hier, muchacho? Was sagen wir?«
    »Nichts«, antwortete ich. »Noch nicht. Gib mir diese Hemdeneinlage.«
    »Ist das eine?«
    »Ja, und geh vorsichtig damit um. Ich brauche sie noch. Wir brauchen sie. Die Röntgenaufnahme ist nicht mehr wichtig.«
    Wireman gab mir das Kartonbild mit einer Hand, die nicht ganz ruhig war.
    »Geh jetzt zu der Wand hinüber, an der die fertigen Bilder stehen. Sieh dir das ganz links außen an. In der Ecke.«
    Er ging hinüber, sah es sich an und wich zurück. »Heiliger Scheiß! Wann hast du das gemalt?«
    »Letzte Nacht.«
    Er hob das Gemälde hoch und drehte es in das Licht, das durch die Fensterwand hereinflutete. Er begutachtete Tina, die zu dem mundlosen, nasenlosen Candy Brown aufsah.
    »Kein Mund, keine Nase, Brown stirbt, Fall erledigt«, sagte Wireman. Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. »Himmel, ich möchte nicht der maricón de playa sein, der dir Sand ins Gesicht spritzt, wenn er vorbeiläuft.« Er stellte das Bild wieder ab und trat davon weg... vorsichtig, als könnte es durch einen heftigen Stoß explodieren. »Was ist in dich gefahren? Wovon warst du besessen? «
    »Gottverdammt gute Frage«, sagte ich. »Ich wollte es dir eigentlich nicht zeigen. Aber... wenn ich mir überlege, was wir hier vorhaben...«
    »Was haben wir hier vor?«
    »Wireman, das weißt du.«
    Er schwankte ein wenig, als wäre er der mit dem schlimmen Bein. Und er war plötzlich mit Schweiß bedeckt. Sein Gesicht glänzte davon. Sein linkes Auge war noch immer rot, aber vielleicht nicht mehr ganz so rot. Aber natürlich gehörte das möglicherweise nur in die Abteilung Wunschdenken. »Kannst du das?«
    »Ich kann es versuchen«, sagte ich. »Wenn du möchtest.«
    Er nickte, dann zog er seinen Pullover aus. »Also los.«
    »Ich brauche dich am Fenster, damit dein Gesicht gut beleuchtet ist, während die Sonne unterzugehen beginnt. In der Küche steht ein Hocker, auf dem du sitzen kannst. Wie lange kann Annmarie bleiben?«
    »Bis acht Uhr, hat sie gesagt, und sie gibt Miss Eastlake ihr Abendessen. Uns habe ich eine Lasagne mitgebracht. Die stelle ich um halb sechs in deinen Backofen.«
    »Gut.« Bis die Lasagne fertig war, würde das Licht ohnehin verschwunden sein. Ich konnte ein paar Digitalfotos von Wireman machen, sie an die Staffelei heften und danach weiterarbeiten. Ich malte schnell, aber ich wusste schon jetzt, dass dies ein längerer Prozess werden würde - mindestens über Tage hinweg.
    Als Wireman mit dem Hocker zurückkam, blieb er oben an der Treppe stehen. »Was machst du da?«
    »Was glaubst du?«
    »Du schneidest ein Loch in eine Leinwand, die fast wie neu ist.«
    »Setzen, eins.« Ich legte das ausgeschnittene Rechteck weg, griff dann nach der Kartoneinlage mit dem schwimmenden Gehirn und trat damit hinter die Staffelei. »Hilf mir, das hier festzukleben.«
    »Wann hast du das alles rausgefunden, vato? «
    »Das habe ich nicht«, sagte ich.
    »Das hast du nicht?« Er sah mich durch das Loch in der Leinwand an wie die tausend Neugierigen, die ich in meinem anderen Leben durch tausend Gucklöcher in Bauzäunen starren gesehen hatte.
    »Nein. Irgendwas erzählt es mir gewissermaßen, während ich arbeite. Komm jetzt zu mir herüber.«
    Mit Wiremans Hilfe dauerten die restlichen Vorbereitungen nur wenige Minuten. Er hielt die Hemdeinlage über das ausgeschnittene Rechteck. Ich angelte eine kleine Tube Alleskleber aus meiner

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