Wahn - Duma Key
Mädchen mit Schiff .«
»Ah.«
»Das klingt wie ein enttäuschtes ›Ah‹.«
»Ich hatte gehofft, eines dieser Bilder für die Galerie kaufen zu können. Ich hatte die Nummer 2 im Auge.« Und bedachte man die Bestimmungen unseres Vertrags, hätte er das Gemälde mit fünfzig Prozent Rabatt gekauft. Nicht schlecht, Frau Specht, hätte mein Vater gesagt.
»Die Serie ist noch nicht abgeschlossen. Vielleicht wenn die restlichen Bilder gemalt sind.«
»Wie viele werden es denn?«
Ich male weiter, bis ich den Namen des beschissenen Geisterschiffs am Heckspiegel lesen kann.
Das hätte ich vielleicht sogar laut gesagt, hätte es im Westen nicht wieder gedonnert. »Ich denke, das weiß ich, wenn es so weit ist.Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen...«
»Sie arbeiten. Sorry. Ich will Sie nicht länger aufhalten.«
Als ich das schnurlose Telefon in die Halterung gesteckt hatte, überlegte ich, ob ich wirklich weiterarbeiten wollte. Aber... ich war dicht dran. Wenn ich konzentriert weiterarbeitete, konnte ich abends fertig werden. Und irgendwie gefiel mir die Vorstellung, zu malen, während ein Gewitter über den Golf heranzog.
Gott steh mir bei, sie erschien mir romantisch.
Also drehte ich das Radio auf, das ich beim Telefonieren leiser gestellt hatte, und hörte Axl Rose, der sich kreischend immer tiefer in »Welcome to the Jungle« verlor. Ich griff nach einem Pinsel und steckte ihn mir hinters Ohr. Dann nahm ich einen weiteren in die Hand und fing an zu malen.
XIX Die Gewitterwolken bildeten Stapel von riesigen Prähmen: unten schwarz, purpurrot wie Prellungen in der Mitte. Manchmal leuchteten Blitze in ihnen auf und ließen sie wie Gehirne voller schlechter Ideen aussehen. Der Golf verlor seine Farbe und lag wie tot da. Der Sonnenuntergang war ein gelber Streifen, der zu blässlichem Orange wurde und erlosch. Trübseliges Dämmerlicht erfüllte das Little Pink. Das Radio begann, jeden einzelnen Blitz mit lauten Störgeräuschen zu registrieren. Ich nahm mir die Zeit, es auszuschalten, machte aber kein Licht.
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich aufhörte, derjenige zu sein, der das Bild malte... und ich bin mir bis heute nicht sicher, dass der Maler jemals aufhörte, ich selbst zu sein; vielleicht sí , vielleicht no . Ich weiß nur, dass ich irgendwann den Kopf senkte und beim letzten Tageslicht und von gelegentlichen Blitzen erhellt meinen rechten Arm sah. Der Stumpf war sonnengebräunt, der Rest leichenblass. Die Muskeln hingen schlaff und kraftlos herab. Es gab keine Naht, keine Narbe, nur dieTrennlinie, wo die Sonnenbräune einsetzte, aber der Arm darunter juckte wie ein alter Schwelbrand. Dann zuckte ein weiterer Blitz herab, und plötzlich gab es keinen Arm mehr, hatte nie einen gegeben - zumindest nicht auf Duma Key -, aber das Jucken war weiterhin da und so stark, dass ich am liebsten aus irgendwas ein Stück herausgebissen hätte.
Ich wandte mich wieder der Leinwand zu, und im selben Augenblick strömte das Jucken in diese Richtung hinaus, als entleerte sich ein Sack voller Wasser, und meine Raserei fiel von mir ab. Das Gewitter entlud sich über Duma Key, als die Dunkelheit herabsank, und ich dachte an die Zirkusnummer, bei der ein Kerl mit Augenbinde Messer um ein hübsches Mädchen herum wirft, das mit gespreizten Armen und Beinen an eine drehbare hölzerne Scheibe gefesselt ist, und lachte sogar, glaube ich, weil ich praktisch mit verbundenen Augen malte . In unregelmäßigen Abständen zuckte ein Blitz herab, und Wireman sprang mich an: Wireman mit fünfundzwanzig,Wireman vor Julia, vor Esmeralda, vor der lotería .
Ich gewinne, du gewinnst.
Ein gewaltiger Blitzstrahl ließ das Panoramafenster bläulich weiß aufleuchten, und eine stürmische Bö folgte dieser Elektrizität vom Golf herein und trieb den Regen mit solcher Gewalt gegen die Scheibe, dass ich dachte (mit dem Teil meines Verstandes, der noch denken konnte), sie werde bestimmt eingedrückt werden. Direkt über mir ging ein Munitionslager hoch. Und unter mir war das Murmeln der Muscheln zum Getratsche von toten Dingen geworden, die mit knöchernen Stimmen Geheimnisse erzählten.Wie hatte ich das nicht schon früher hören können? Tote Dinge, ja! Ein Schiff war hierhergekommen, ein Totenschiff mit verrotteten Segeln, das lebende Leichen ausgeladen hatte. Sie waren unter dem Haus, und der Sturm hatte sie zum Leben erweckt. Ich konnte sehen, wie sie durch die über dem Friedhof liegende Decke aus
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