Wahn - Duma Key
Schock gefasst, falls etwas Nasses und Kaltes, an dem Seetang baumelte, nach mir griff. Aber nichts griff nach mir. Als dann überall Licht brannte, entspannte ich mich so weit, dass ich meinen erneuten Hunger spürte. Meinen Heißhunger. Es war das einzige Mal, dass ich mich nach der Arbeit an Wiremans Porträt ausgehungert fühlte... aber diese letzte Sitzung war natürlich ein Hammer gewesen.
Ich blieb stehen, um das Zeug zu begutachten, das durch die offene Haustür hereingeweht war. Nur Sand und Wasser, wobei das Wasser auf dem Bohnerwachs, mit dem meine Haushälterin den Zypressenboden auf Hochglanz brachte, bereits Perlen bildete. Auf den untersten Stufen war der Treppenläufer feucht, aber das war ganz normale Feuchtigkeit.
Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich Ausschau nach Fußabdrücken gehalten hatte.
Ich ging in die Küche, machte mir ein Sandwich mit Huhn und verschlang es vor der Arbeitsfläche stehend. Um es hinunterzuspülen, grapschte ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Als das Sandwich aufgegessen war, ließ ich den Rest des gestrigen Salats folgen, der mehr oder weniger in Newman’s Own French, einer gehaltvollen Salatsoße, schwamm. Dann ging ich hinüber ins Wohnzimmer, um im Palacio anzurufen. Wireman nahm nach dem ersten Klingeln ab. Ich wollte ihm erzählen, ich sei draußen gewesen, um das Haus auf etwaige Sturmschäden zu begutachten, aber wo ich bei seinem Anruf gewesen war, interessierte Wireman nicht im Geringsten. Er lachte und weinte durcheinander.
»Ich kann wieder sehen! So gut wie früher! Auch mit dem linken Auge wieder völlig klar! Ich kann’s nicht glauben, aber...«
»Langsamer, Wireman. Ich versteh dich kaum.«
Er redete nicht langsamer. Vielleicht konnte er nicht. »Als das Gewitter am schlimmsten war, wurde mein schlimmes Auge plötzlich von einem Schmerz durchzuckt... ein unglaublicher Schmerz... wie ein glühender Draht... ich dachte, wir wären vom Blitz getroffen worden, so wahr mir Gott helfe... ich hab mir die Augenklappe abgerissen … und ich konnte sehen! Kapierst du, was ich dir erzähle? Ich kann sehen! «
»Ja«, sagte ich, »ich kapier’s. Das ist wundervoll.«
»Warst du das? Das warst du, nicht wahr?«
»Vielleicht«, sagte ich. »Wahrscheinlich. Ich habe ein Bild für dich. Ich bringe es dir morgen.« Ich zögerte kurz. »An deiner Stelle würde ich gut darauf aufpassen, amigo . Ich glaube nicht, dass ihr weiteres Schicksal eine Rolle spielt, wenn sie erst mal fertig sind, aber ich habe auch geglaubt, Kerry würde gegen Bush gewinnen.«
Er lachte wild. »Oh, verdad , das tue ich! War’s schwer?«
Bevor ich antworten konnte, fiel mir etwas ein. »Hat das Gewitter Elizabeth sehr zugesetzt?«
»O Mann, schrecklich. Sie fürchtet sich vor jedem, aber bei diesem... sie war außer sich vor Entsetzen. Hat die Namen ihrer Schwestern gekreischt. Tessie und Lo-Lo, die damals in den Zwanzigerjahren ertrunken sind. Sogar ich war fast in Panik... aber das ist jetzt vorbei. Mit dir alles in Ordnung? War’s schwer?«
Ich sah zu den Sandhäufchen zwischen Haustür und Treppe hinüber. Dort gab es bestimmt keine Fußabdrücke. Wenn ich mir einbildete, mehr als nur Sand zu sehen, war das bloß meine beschissene Künstlerfantasie .
Ich hoffte, dass es so war.
XXI Wir sprachen noch fünf Minuten lang miteinander... oder vielmehr redete Wireman. Plapperte, genau genommen. Zuletzt gestand er mir noch, dass er sich vor dem Einschlafen fürchtete. Dass er Angst hatte, beim Aufwachen könnte sein linkes Auge wieder blind sein. Ich erklärte ihm, dass er das meiner Ansicht nach nicht befürchten musste, wünschte ihm eine gute Nacht und legte auf. Ich dagegen fürchtete, ich könnte mitten in der Nacht aufwachen und Tessie und Laura - Lo-Lo für Elizabeth - auf beiden Seiten meines Bettes sitzen sehen.
Eine der beiden vielleicht mit Reba auf ihrem feuchten Schoß.
Ich holte mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und ging wieder nach oben. Ich trat mit gesenktem Kopf und meine Füße anstarrend an die Staffelei und sah dann ruckartig auf, als hoffte ich, das Porträt überraschen zu können. Ein Teil von mir - ein rationaler Teil - erwartete, es durch Farbkleckse entstellt zu sehen: ein nur teilweise erkennbarer Wireman, der halb unter den Flecken und Klecksen verschwand, mit denen ich die Leinwand während des Gewitters bedeckt hatte, als mein einziges richtiges Licht von den Blitzen herrührte. Der Rest meines Ich wusste es
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