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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Antwort schien auf der Hand zu liegen: alles oder nichts.
    »Ich glaube, ich sollte dir erzählen, was letzte Nacht passiert ist. Du musst mir nur versprechen, nicht die Männer in den weißen Kitteln zu rufen.«
    »Versprochen.«
    Ich schilderte ihm, wie ich sein Porträt größtenteils bei Dunkelheit fertiggestellt hatte. Ich erzählte, wie ich meinen rechten Arm mitsamt der Hand gesehen hatte. Wie ich dann die beiden toten Mädchen am Fuß der Treppe gesehen hatte und ohnmächtig geworden war. Bis ich fertig war, waren wir aus dem Golf gewatet und zu der Stelle zurückgegangen, wo Elizabeth schnarchte. Wireman begann ihr Tablett abzuräumen und kippte die Frühstücksreste in einen Müllbeutel, den er aus der Tasche zwischen den Griffen des Rollstuhls zog.
    »Sonst nichts?«, fragte er.
    »Reicht das nicht?«
    »Ich frage bloß.«
    »Sonst nichts. Ich habe bis sechs Uhr wie ein Murmeltier geschlafen. Dann habe ich dich - das Gemälde von dir - hinten in meinen Wagen gelegt und bin hergefahren. Wenn du’s übrigens sehen möchtest...«
    »Alles zu seiner Zeit. Denk dir eine Zahl zwischen eins und zehn.«
    »Was?«
    »Tu mir den Gefallen, muchacho .«
    Ich dachte mir eine Zahl. »Okay.«
    Er schwieg einen Augenblick, während er auf den Golf hinaussah. Dann fragte er: »Neun?«
    »Nein. Sieben.«
    Wireman nickte. »Sieben.« Er trommelte sekundenlang mit den Fingern an seine Brust, dann ließ er sie auf den Schoß sinken. »Gestern hätte ich dir die Zahl sagen können. Heute kann ich es nicht mehr. Meine telepathische Gabe - dieses kleine Zwinkern - ist verschwunden. Was ein mehr als fairer Tausch ist. Wireman ist, wie Wireman war, und Wireman sagt muchas gracias .«
    »Was willst du damit sagen? Willst du damit überhaupt irgendwas sagen?«
    »Allerdings. Der springende Punkt ist, dass du nicht verrückt wirst, falls du das befürchtest.Auf Duma Key scheinen zerbrochene Menschen besondere Menschen zu sein. Hören sie auf, zerbrochen zu sein, hören sie auf, etwas Besonderes zu sein. Ich bin wieder ganz. Du bist noch zerbrochen, deshalb bist du weiterhin etwas Besonderes.«
    »Ich weiß nicht recht, worauf du hinauswillst.«
    »Weil du versuchst, etwas Einfaches schwierig zu machen. Sieh geradeaus, muchacho , was siehst du da?«
    »Den Golf von Mexiko. Was ihr den caldo largo nennt.«
    »Und was malst du die meiste Zeit?«
    »Den Golf. Sonnenuntergänge am Golf.«
    »Und was ist Malen?«
    »Malen ist Sehen, vermute ich.«
    »Da gibt’s nichts zu vermuten. Und was bedeutet Sehen auf Duma Key?«
    Ich fühlte mich wie ein Kind, das sich seiner Antwort nicht ganz sicher ist, als ich sagte: » Spezielles Sehen?«
    »Ja. Was glaubst du also, Edgar? Waren die toten Mädchen letzte Nacht bei dir im Big Pink oder nicht?«
    Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken. »Vermutlich ja.«
    »Das denke ich auch. Ich denke, dass du die Geister ihrer Schwestern gesehen hast.«
    »Ich habe mich vor ihnen gefürchtet.« Das sagte ich mit leiser Stimme.
    »Edgar... ich glaube nicht, dass Geister Leuten etwas tun können.«
    »Vielleicht nicht gewöhnlichen Leuten an einem gewöhnlichen Ort«, sagte ich.
    Er nickte ziemlich widerstrebend. »Richtig. Was willst du also tun?«
    »Was ich nicht tun will, ist die Insel verlassen. Ich bin hier noch nicht fertig.«
    Ich dachte nicht nur an meine Ausstellung - mein Champagnerglas Ruhm. Es gab noch mehr. Ich wusste nur nicht, woraus es bestand. Noch nicht. Hätte ich versucht, es mit Worten auszudrücken, hätte es blöd geklungen - wie der Text eines chinesischen Wahrsageplätzchens. Wie einer, in dem das Wort Schicksal vorkam.
    »Möchtest du zu uns in den Palacio kommen? Bei uns einziehen?«
    »Nein danke.« Ich fürchtete, das würde alles irgendwie noch schlimmer machen. Außerdem war das Big Pink mein Haus. Ich hatte es lieb gewonnen. »Aber könntest du versuchen, möglichst viel über die Familie Eastlake im Allgemeinen und diese beiden Mädchen im Besonderen rauszukriegen, Wireman? Wenn du wieder lesen kannst, könntest du vielleicht im Internet recherchieren und...«
    Er fasste mich am Arm. »Ich werde wie verrückt graben. Aber vielleicht kannst du auch was dazu beitragen. Du wirst von Mary Ire interviewt, nicht wahr?«
    »Stimmt. Das Interview soll in der Woche nach meinem sogenannten Vortrag stattfinden.«
    »Frag sie nach den Eastlakes. Vielleicht ziehst du das große Los. Miss Eastlake war in ihrer Zeit eine große Kunstförderin.«
    »Okay.«
    Er packte die Griffe des

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