Wahn - Duma Key
Paris. Eine Frau mit einem Baguette unter dem Arm kam in einem wippenden roten Seidenrock den Gehsteig entlanggeschlendert. Irgendwo spielte irgendwer einen zwölftaktigen Gitarrenblues, jede Note absolut tonrein. »Erzählen Sie mir etwas, Edgar - interessiert Sie das, was Sie hier bei einem Blick aus dem Fenster sehen, als Künstler oder als ehemaliger Bauunternehmer?«
»Beides«, sagte ich.
Sie lachte. »Klar doch. Davis Islands ist völlig künstlich, das Geistesprodukt eines Mannes namens Dave Davis. Er war der Jay Gatsby von Florida. Schon mal von ihm gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das beweist nur, dass Ruhm etwas Vergängliches ist. In den Goldenen Zwanzigern war Davis hier unten an der Sonnenküste ein Gott.«
Ihre Handbewegung umfasste das Straßengewirr unter uns; die Armreife an ihrem schmalen Handgelenk klirrten; irgendwo in der Nähe schlug eine Kirchenuhr zweimal.
»Dies alles hat er auf einem trockengelegten Sumpfgebiet an der Mündung des Hillsborough River erbaut. Hat die Stadtväter von Tampa dazu überredet, das Krankenhaus und die Radiostation hierher zu verlegen - damals, als der Rundfunk mehr galt als Gesundheitsfürsorge. In einer Zeit, in der Apartmentkomplexe noch unbekannt waren, hat er eigenartig schöne Apartmentkomplexe errichtet. Er hat Hotels und luxuriöse Nachtclubs gebaut. Er hat mit Geld um sich geworfen, eine Schönheitskönigin geheiratet, sich von ihr scheiden lassen, sie wieder geheiratet. Er war in einer Zeit millionenschwer, in der eine Million Dollar so viel wert war wie heute zwölf Millionen. Und einer seiner besten Freunde hat nicht weit südlich von hier auf Duma Key gelebt. John Eastlake. Sagt Ihnen dieser Name etwas?«
»Natürlich. Ich kenne seine Tochter. Mein Freund Wireman betreut sie.«
Mary zündete sich eine weitere Zigarette an. »Nun, Dave und John waren reich wie Krösus - Dave durch seine Immobilienspekulationen, John mit seinen Fabriken -, aber Davis war ein Pfau und Eastlake mehr ein schlichter brauner Hänfling. Wohl zu seinem Glück, denn Sie wissen, was mit Pfauen passiert, nicht wahr?«
»Sie kriegen die Schwanzfedern ausgerissen?«
Sie zog an ihrer neuen Zigarette, dann wies sie mit den beiden Fingern, die sie hielten, auf mich und stieß dabei Rauch aus den Nasenlöchern aus. »Korrekt, Sir! Im Jahr 1925 brach eine Immobilienkrise über Florida herein, als ließe ein Ziegelstein eine Seifenblase zerplatzen. Dave Davis hatte praktisch sein gesamtes Vermögen in das investiert, was Sie dort draußen sehen.« Ihre Handbewegung umfasste die verwinkelten Straßen, die rosa Häuser. »Im Jahr 1926 standen Davis aus mehreren erfolgreichen Projekten vier Millionen Dollar zu, von denen er nur ungefähr dreißigtausend Dollar eintreiben konnte.«
Es war eine Weile her, dass ich den Tiger geritten hatte - so nannte mein Vater Überschuldung bis zu einem Punkt, an dem man mit den Gläubigern jonglieren und in der Buchhaltung kreativ werden musste -, aber solche Größenordnungen hatte ich nie gekannt, nicht einmal in der verzweifelten Anfangszeit der Freemantle Company. Mein Mitgefühl galt Dave Davis, auch wenn er inzwischen schon lange tot sein musste.
»Wie viele seiner Schulden konnte er begleichen? Überhaupt welche?«
»Anfangs hat er’s noch geschafft. In anderen Teilen Amerikas waren das Boomjahre.«
»Sie wissen viel über diese Sache.«
»Die Kunst der Sonnenküste ist meine Passion, Edgar. Die Geschichte der Sonnenküste ist mein Hobby.«
»Ich verstehe. Davis hat die Immobilienkrise also überstanden.«
»Für kurze Zeit. Ich vermute, dass er die Börsenhausse genutzt und Aktien verkauft hat, um seine anfänglichen Verluste zu decken. Und Freunde haben ihm geholfen.«
»Eastlake?«
»Vor allem John Eastlake - und das zusätzlich zu Daves ins Land geschmuggeltem Schnaps, den er vielleicht manchmal auf Duma Key versteckt hat.«
»Hat er das wirklich getan?«, fragte ich.
»Ich habe vielleicht gesagt. Das war eine andere Zeit, ein anderes Florida. Wer länger hier lebt, hört alle möglichen wilden Schmugglergeschichten aus der Prohibitionszeit. Schnaps hin, Schnaps her, ohne John Eastlake wäre Davis zu Ostern 1926 völlig pleite gewesen. John war kein Playboy, er zog nicht durch Nachtclubs und Puffs wie Davis und einige seiner anderen Freunde, aber er war seit 1923 Witwer, und ich vermute, dass der alte Dave seinem Kumpel gelegentlich mit einem Mädel ausgeholfen hat, wenn besagter Kumpel sich einsam fühlte.Aber im
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