Wahn - Duma Key
hätte sich Ihnen ganz anders dargeboten. Ich habe Bilder von damals gesehen. Im Inselinneren standen von Würgfeigen überwucherte Sabalpalmen und Gumbo Limbo und Karibische Kiefern; an einigen feuchten Stellen wuchsen Virginia-Eichen und Mangroven. Der Boden war mit Korallensträuchern und Tintenbeeren bedeckt, nicht mit diesem Dschungelscheiß, der heutzutage dort draußen wuchert. Nur die Strände sind unverändert - und natürlich der Strandhafer … wie ein Rocksaum. Die Zugbrücke am Nordende gab es schon, aber auf Duma Key stand nur ein einziges Haus.«
»Wie ist dieser ganze Wildwuchs entstanden?«, fragte ich. »Wissen Sie eine Erklärung dafür? Ich meine, er bedeckt doch drei Viertel der Insel.«
Sie schien mich nicht gehört zu haben. »Nur ein einziges Haus«, wiederholte sie. »Auf der kleinen Erhebung im Süden stehend und ganz im Stil der eleganten Landsitze erbaut, die man heute in Charleston oder Mobile besichtigen kann. Mit Säulen und einer gekiesten Einfahrt. Nach Westen hatte man einen weiten Blick über den Golf hinaus; im Osten erstreckte sich die Küste Floridas. Allerdings gab’s dort nicht viel zu sehen... nur Venice. Das Dorf Venice. Ein verschlafenes kleines Nest.« Sie hörte, wie undeutlich sie sprach, und riss sich zusammen. »Sie müssen mich entschuldigen, Edgar. Bitte. Ich mache das wirklich nicht jeden Tag. Sie sollten meine... meine Aufregung... als Kompliment betrachten.«
»Das tue ich.«
»Vor zwanzig Jahren hätte ich versucht, Sie ins Bett zu locken, statt mich dumm und dämlich zu trinken. Vielleicht noch vor zehn.Wie die Dinge jetzt stehen, kann ich nur hoffen, dass ich Sie nicht für immer vergrämt habe.«
»Schön wär’s.«
Mary lachte: ein Krächzen, das steril und fröhlich zugleich war. »Dann hoffe ich, dass Sie mich bald wieder besuchen. Ich koche uns eine pikante rote Gumbosuppe. Jetzt jedoch...« Sie legte mir einen Arm um die Schultern und führte mich zur Tür. Der Körper unter ihrer Kleidung war mager und heiß und steinhart. Beim Gehen schwankte sie nur mehr ganz leicht. »Aber jetzt ist’s Zeit, denke ich, dass Sie gehen und ich meine nachmittägliche Siesta mache. Ich bedaure, sagen zu müssen, dass ich sie brauche.«
Ich trat auf den Flur hinaus, dann drehte ich mich noch mal um. »Mary, haben Sie Elizabeth jemals über den Tod ihrer Zwillingsschwestern reden gehört? Sie muss damals vier oder fünf gewesen sein. Alt genug, um sich an etwas so Traumatisches zu erinnern.«
»Nie«, sagte Mary. »Nicht ein einziges Mal.«
II In dem schmalen, aber behaglichen Schattenstreifen um Viertel nach zwei Uhr standen auf beiden Seiten des Hauseingangs ungefähr ein Dutzend Stühle. Dort saßen fünf oder sechs alte Männer, die den Verkehr auf der Adalia Street beobachteten. Auch Jack saß dort, aber weder beobachtete er den Verkehr noch bewunderte er die vorbeigehenden Ladys. Er hatte seinen Stuhl an den rosa Verputz zurückgelehnt und las Bestattungswesen für Dummies . Er merkte sich, wo er war, und stand auf, sobald er mich kommen sah.
»Passende Wahl für diesen Staat«, sagte ich mit einem Nicken, das seinem Buch mit dem zum Markenzeichen gewordenen glotzäugigen Trottel auf dem Umschlag galt.
»Irgendwann muss ich mich für einen Beruf entscheiden«, sagte er, »und nachdem du in letzter Zeit so aktiv bist, glaube ich nicht, dass dieser Job noch lange vorhält.«
»Hetz mich nicht«, sagte ich und griff in meine Tasche, um mich davon zu überzeugen, dass ich mein Fläschchen Aspirin hatte. Es war da.
»Tatsächlich«, sagte Jack, »habe ich genau das vor.«
»Musst du irgendwohin?«, fragte ich, während ich neben ihm über den Gehsteig und in den Sonnenschein hinaushinkte. In der Sonne war es heiß. Auch an der Westküste Floridas gibt es einen Frühling, aber er macht dort nur eine Kaffeepause, bevor er nach Norden weiterzieht, um dort die schwere Arbeit zu tun.
»Nein, aber du hast um vier Uhr einen Termin bei Dr. Hadlock in Sarasota. Den können wir gerade noch schaffen, denke ich, wenn der Verkehr es gut mit uns meint.«
Ich hielt ihn mit meiner Hand auf der Schulter auf. »Elizabeth’ Arzt? Wozu?«
»Zu einer Untersuchung. Wie man hört, hast du sie bisher vor dir hergeschoben, Boss.«
»Dahinter steckt Wireman«, murmelte ich und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Wireman der Ärztehasser. Aber das Ergebnis erfährt er nie. Du bist mein Zeuge, Jack. Ich erzähle ihm nie , was...«
»Nein, er hat gesagt,
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