Wahn - Duma Key
nur laut gedacht.«
V Mädchen mit Schiff Nr. 8 - das letzte Gemälde dieses Zyklus, daran hatte ich kaum Zweifel - war eigentlich fertig, trotzdem stand ich in der Abendsonne mit nacktem Oberkörper davor und begutachtete es, während The Bone ohrenbetäubend laut »Copperhead Road« spielte. Ich hatte länger daran gearbeitet als an den vorigen Bildern - vermutlich weil es auf vielfältige Weise alle früheren zusammenfasste -, und das war beunruhigend. Deshalb hatte ich das Gemälde nach jeder Arbeitsperiode mit einem Tuch abgedeckt.Als ich es jetzt mit hoffentlich leidenschaftslosem Blick begutachtete, merkte ich, dass »beunruhigend« vermutlich das falsche Wort war; dieses Baby war gottverdammt erschreckend. Es zu betrachten war, als würde man auf einen seitlich verdrehten Verstand blicken.
Und womöglich würde es nie ganz fertig sein. Bestimmt war darauf noch Platz für einen roten Picknickkorb. Ich konnte ihn über den Bugspriet der Perse hängen. Teufel noch mal, warum nicht? Das verdammte Ding war ohnehin schon mit Gestalten und Einzelheiten überladen. Da war immer Platz für ein weiteres Detail.
Ich setzte einen Pinsel an, der mit etwas getränkt war, das Blut hätte sein können, um genau das zu tun, als das Telefon klingelte. Ich ignorierte es beinahe... hätte es ganz bestimmt getan, wenn ich wieder im Malwahn gewesen wäre, aber das war ich nicht. Der Picknickkorb sollte nur ein weiteres Ornament sein. Ich ließ den Pinsel sinken und griff nach dem Telefonhörer. Der Anrufer war Wireman, der aufgeregt klang.
»Sie hat heute Nachmittag ein klares Intervall gehabt, Edgar! Das hat vielleicht nichts zu bedeuten - ich bemühe mich, meine Hoffnungen klein zu halten -, aber ich kenne diesen Ablauf von früher. Erst ein klares Intervall, dann noch eines, dann noch eines, dann gehen sie ineinander über, und sie ist wieder sie selbst, zumindest für einige Zeit.«
»Sie weiß, wer sie ist?Wo sie ist?«
»Nicht jetzt, aber ab ungefähr halb sechs hat sie das alles mindestens eine halbe Stunde lang gewusst und auch mich erkannt. Und stell dir vor, muchacho , sie hat sich ihre verdammte Zigarette selbst angezündet!«
»Das muss ich dem Gesundheitsminister melden«, sagte ich, aber im Stillen rechnete ich nach. Halb sechs. Genau zu dem Zeitpunkt, als Jack und ich an der Zugbrücke gewartet hatten. Als ich plötzlich diesen Drang verspürt hatte, etwas zu zeichnen.
»Wollte sie außer einer Zigarette sonst noch was?«
»Sie hat nach Essen verlangt. Aber davor sollte ich sie zu ihren Porzellanfiguren bringen. Sie wollte zu ihren Figuren, Edgar! Weißt du, wie lange das letzte Mal her ist?«
Das wusste ich sehr genau. Und es tat gut, ihn ihretwegen aufgeregt zu erleben.
»Als ich sie hingebracht hatte, hat sie allerdings wieder nachgelassen. Sie hat sich umgesehen und mich gefragt, wo Percy sei. Sie hat gesagt, sie wolle Percy, Percy müsse in die Keksdose.«
Ich betrachtete mein Gemälde. Starrte mein Schiff an. Es gehörte jetzt ganz mir. Meine Perse . Ich leckte mir die Lippen, die sich plötzlich lederartig anfühlten. Wie sie es in der ersten Zeit nach dem Unfall bei jedem Aufwachen getan hatten. Als ich manchmal nicht mehr gewusst hatte, wer ich war. Wissen Sie, was verrückt ist? Sich ans Vergessen zu erinnern. Als blicke man in ein Spiegelkabinett. »Welche ist Percy?«
»Weiß der Teufel. Wenn ich die Keksdose in den Goldfischteich werfen soll, besteht sie immer darauf, ein Mädchen aus Porzellan hineinzustecken. Meistens die Schäferin mit dem abgeblätterten Gesicht.«
»Hat sie sonst noch was gesagt?«
»Wie schon gesagt, sie wollte was zu essen.Tomatensuppe. Und Pfirsiche. Unterdessen hatte sie aufgehört, sich für die Figuren zu interessieren, und ist wieder konfus geworden.«
Lag das daran, dass Percy nicht da gewesen war? Oder die Perse? Schon möglich, aber falls sie jemals ein Porzellanschiff gehabt hatte, hatte ich es nie gesehen. Ich dachte - nicht zum ersten Mal -, dass Perse ein komisches Wort war. Man konnte ihm nicht trauen. Es veränderte sich zu oft.
Wireman sagte: »Zwischendurch hat sie behauptet, der Tisch sei leck.«
»Und, war er das?«
Nach kurzer Pause fragte er ziemlich missgestimmt: »Soll das ein kleiner Scherz auf Wiremans Kosten sein, mi amigo? «
»Nein, ich bin nur neugierig. Was hat sie gesagt? Genau?«
»Nur das. ›Der Tisch ist leck.‹ Aber wie du weißt, stehen ihre Figuren auf einem massiven Holztisch!«
»Beruhige dich.
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