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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aufgekreuzt war und mich vor einer Blamage gerettet hatte. Gegen Ende des Gesprächs fing sie an zu weinen und sagte, sie habe noch nie einen so tapferen Patienten gehabt, der sich durch nichts entmutigen ließ. Dann fügte sie hinzu, bei unserer nächsten Begegnung werde sie mich auffordern, mich auf den Boden zu setzen und ihr fünfzig Sit-ups zu machen. Das klang wie die alte Kathi. Um allem die Krone aufzusetzen, schickte Todd Jamieson, der Arzt, der mich wahrscheinlich davor bewahrt hatte, ein bis zwei Jahrzehnte lang als menschliche Steckrübe leben zu müssen, eine Flasche Champagner mit einer Karte, auf der Kann’s kaum erwarten, Ihre Bilder zu sehen stand. Hätte Wireman mit mir gewettet, dass ich mich langweilen und noch vor der Vernissage wieder zum Pinsel greifen würde, hätte er verloren. Wenn ich mich nicht auf meinen großen Augenblick vorbereitete, ging ich spazieren, las oder schlief. Das erwähnte ich ihm gegenüber an einem der seltenen Nachmittage, an dem wir am Ende des Holzstegs des Palacio gemeinsam unter dem gestreiften Sonnenschirm saßen und grünen Tee tranken. Das war weniger als eine Woche vor der Ausstellung.
    »Das freut mich«, sagte er einfach. »Du hast Erholung gebraucht.«
    »Was ist mit dir, Wireman? Wie geht’s dir?«
    »Nicht großartig, aber I Will Survive - Gloria Gaynor, 1978. Ich bin vor allem traurig.« Er seufzte. »Ich werde sie verlieren. Ich habe mir eingeredet, sie würde vielleicht zurückkommen, aber... ich werde sie verlieren. Es ist nicht wie bei Julia und Esmeralda, Gott sei Dank, aber es bedrückt mich trotzdem.«
    »Das tut mir leid.« Ich legte meine Hand auf seine. »Ihret- und deinetwegen.«
    »Danke.« Er blickte auf die Wogen hinaus. »Manchmal denke ich, dass sie überhaupt nicht sterben wird.«
    »Nein?«
    »Nein. Ich denke, dass stattdessen das Walross und der Zimmermann kommen werden, um sie abzuholen. Dass die beiden sie einfach wegführen werden wie die vertrauensvollen Austern. Am Strand entlang. Erinnerst du dich, was das Walross sagt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »›Es wirkt beinah‹, das Walross sprach, ›wie ein recht übler Streich; die Kleinen sind vom langen Gehen ja immer noch ganz bleich.‹« Er fuhr sich mit einem Arm übers Gesicht. »Sieh mich an, muchacho , ich flenne schon genau wie das Walross. Bin ich nicht blöd?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich will mich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, dass sie diesmal endgültig fort ist, dass der beste Teil von ihr mit dem Walross und dem Zimmermann zum Strand hinuntergegangen ist, dass nichts von ihr übrig ist als ein fetter alter Brocken Talg, der noch nicht ganz vergessen hat, wie man atmet.«
    Ich sagte nichts. Er wischte sich noch einmal mit dem Unterarm über die Augen und holte tief und wässrig Luft. Dann sagte er: »Ich habe John Eastlakes Geschichte recherchiert... und wie seine Töchter ertrunken sind und was danach passiert ist. Erinnerst du dich, dass du mich darum gebeten hast?«
    Das wusste ich noch, aber es schien lange zurückzuliegen und unwichtig zu sein. Heute vermute ich, dass etwas wollte , dass es mir so erschien.
    »Ich bin durchs Internet gesurft und habe etliche Artikel aus der Lokalpresse und ein paar Memoiren gefunden, die man herunterladen kann. Eine dieser Erinnerungen - ohne Scheiß, muchacho - trägt den Titel Bootsfahrten und Bienenwachs, eine Kindheit in Nokomis von Stephanie Weider Gravel-Miller.«
    »Klingt wie eine ziemliche Reise in die Vergangenheit.«
    »Allerdings. Sie spricht von ›fröhlichen Schwarzen, die Orangen pflücken und mit ihren einschmeichelnden Stimmen ein schlichtes Gotteslob singen‹.«
    »Das muss wohl vor Jay-Z gewesen sein.«
    »Da liegst du richtig. Und noch besser: Ich habe mit Chris Shannington drüben auf Casey Key gesprochen - den hast du bestimmt schon mal gesehen. Ein munterer alter Knabe, der überall mit seinem Knotenstock, fast so groß wie er selbst, und einem breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf herumläuft. Sein Vater Ellis Shannington war John Eastlakes Gärtner.Wie Chris erzählt, war es Ellis, der Maria und Hannah, Elizabeth’ ältere Schwestern, ungefähr zehn Tage nach dem Ertrinkungstod der Zwillinge in die Braden School zurückgebracht hat. Er hat gesagt: ›Diese Kinner war’n untröstlich weg’n de Babbies.‹«
    Wireman imitierte den Südstaatenakzent des Alten unheimlich gut, und aus irgendeinem Grund musste ich wieder an das Walross und den Zimmermann denken, die mit den kleinen Austern den

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