Wahn - Duma Key
der letzte Stand, bevor ich...« Sie senkte die Lider, wie um Schlaf anzudeuten.
»Ja, in der Scoto Gallery. Sie brauchen jetzt wirklich Ruhe.«
»Ist sie bald? Ihre Ausstellung?«
»In weniger als einer Woche.«
»Und Ihre Gemälde... die Schiffsbilder... sind sie auf dem Festland? In der Galerie?«
Wireman und ich wechselten einen Blick. Er zuckte mit den Schultern.
»Ja«, sagte ich.
»Gut.« Sie lächelte. »Dann ruhe ich mich jetzt aus. Alles andere kann warten... bis Sie Ihre Ausstellung gehabt haben. Ihren Moment im Rampenlicht. Verkaufen Sie sie? Die Schiffsbilder?«
Wireman und ich sahen uns erneut an. Was er meinte, stand deutlich in seinem Blick: Sie darf sich nicht aufregen.
»Sie sind alle als unverkäuflich gekennzeichnet, Elizabeth. Das bedeutet...«
»Ich weiß, was das bedeutet, Edgar, ich bin nicht erst gestern von einem Orangenbaum gefallen.« In ihren von tiefen Falten umgebenen Höhlen, in einem in Richtung Tod entschwindenden Gesicht gefangen, blitzten ihre Augen. »Verkaufen Sie sie. Ganz gleich, wie viele es sind, Sie müssen sie verkaufen . Und wenn’s Ihnen noch so schwerfällt. Lösen Sie den Zyklus auf, verstreuen Sie ihn in alle vier Winde. Haben Sie verstanden?«
»Ja.«
»Tun Sie’s auch wirklich?«
Ich wusste nicht, ob ich es tun würde oder nicht, aber ich erkannte die Anzeichen für ihre wachsende Erregung aus meiner nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit wieder. »Ja.« In diesem Augenblick hätte ich ihr versprochen, in Siebenmeilenstiefeln über den Mond zu springen, wenn es sie beruhigt hätte.
»Selbst dann bleiben sie vielleicht gefährlich«, murmelte sie in fast ängstlichem Ton.
»Schluss jetzt«, sagte ich und tätschelte ihre Hand. »Denken Sie nicht mehr daran.«
»Also gut. Nach Ihrer Ausstellung reden wir noch mal darüber. Nur wir drei. Ich bin dann kräftiger... bei klarem Verstand... und Sie, Edgar, können besser aufpassen. Haben Sie Töchter? Ich scheine mich daran zu erinnern, dass Sie welche haben.«
»Ja, und sie bleiben mit ihrer Mutter auf dem Festland. Im Ritz. Das ist schon arrangiert.«
Sie lächelte, aber ihre Mundwinkel sanken gleich wieder herab. »Kurbeln Sie mich hinunter, Wireman. Ich war im Sumpf... vierzig Tage und vierzig Nächte lang... so fühlt es sich an... und bin müde.«
Er kurbelte sie hinunter, und Annmarie kam mit etwas in einem Glas auf einem Tablett herein. Aber Elizabeth würde keinen einzigen Schluck davon trinken; sie war bereits weggetreten. Über ihrem Kopf saß das einsamste Mädchen der Welt auf einem Stuhl und sah für immer aus dem Fenster: das Gesicht hinter nach vorn fallenden Haaren verborgen, bis auf ein Paar Schuhe nackt.
X An diesem Abend fand ich lange keinen Schlaf. Es war nach Mitternacht, als ich endlich hinüberglitt. Am Golf herrschte Ebbe, und die flüsternden Gespräche unter dem Haus waren verstummt. Das galt jedoch nicht für die wispernden Stimmen in meinem Kopf.
Ein anderes Florida, flüsterte Mary Ire. Das war ein anderes Florida.
Verkaufen Sie sie. Ganz gleich, wie viele es sind, Sie müssen sie verkaufen. Das war natürlich Elizabeth.
Die erwachsene Elizabeth. Ich hörte jedoch auch eine andere Version, und weil ich ihre Stimme erfinden musste, hörte ich Ilses Kinderstimme.
Ich weiß einen Schatz, Daddy, sagte die Stimme. Du kannst ihn dir holen, wenn du mit Maske und Schnorchel tauchst. Ich kann dir zeigen, wo du suchen musst.
Ich habe ein Bild gemalt.
XI Ich war bei Tagesanbruch wach. Ich dachte, ich könnte wieder einschlafen - aber nicht bevor ich eine der wenigen noch aufgesparten Oxycontin-Pillen genommen und telefoniert hatte. Ich nahm die Pille, dann rief ich die Scoto Gallery an und erreichte den Anrufbeantworter. Es würde noch Stunden dauern, bevor die erste Menschenseele dort aufkreuzte. Künstlertypen sind keine Morgenmenschen.
Ich drückte zweimal die Eins, um Dario Nannuzzis Nebenstelle zu erreichen, und sagte nach dem Piepton: »Dario, hier ist Edgar. Ich habe mir die Sache mit dem Zyklus Mädchen mit Schiff anders überlegt. Ich will die Bilder doch verkaufen, okay? Meine einzige Bedingung ist, dass sie möglichst an verschiedene Leute gehen sollen. Danke.«
Ich legte auf und ging wieder ins Bett. Lag eine Viertelstunde auf dem Rücken, beobachtete, wie der Deckenventilator sich langsam drehte, und horchte auf das Flüstern der Muscheln unter mir. Die Pille wirkte, aber ich fand trotzdem keinen Schlaf.
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