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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Augenblick erschien mir das nebensächlich. Ich dachte daran, wie ich in meinem Krankenhausbett aufgewacht war, verwirrt und durch unaufhörliche Schmerzen von allem abgeschnitten; dann sah ich mich um und fragte mich, wie meine Situation sich so grundlegend hatte verändern können. Alle diese Menschen waren für einen Abend in mein Leben zurückgekehrt. Ich wollte nicht flennen, aber ich wusste ziemlich sicher, dass ich es tun würde; ich merkte, dass meine Fassung sich aufzulösen begann wie ein Papiertaschentuch in einem Wolkenbruch.
    »Mach es auf, Daddy!«, sagte Ilse. Ich konnte ihr Parfüm riechen, einen süßen, frischen Duft.
    »Aufmachen! Aufmachen!« Gutmütige Stimmen aus dem dicht gedrängten Kreis von Leuten, die uns umstanden.
    Ich öffnete die Schachtel. Schlug eine Lage weißes Seidenpapier zurück und fand, was ich erwartet hatte... aber ich hatte etwas Scherzhaftes erwartet, und dies war kein Scherz. Die Baskenmütze, die Melinda und Ric mir aus Frankreich mitgebracht hatten, war aus dunkelrotem Samt, der sich seidenweich anfühlte. Sie war bestimmt nicht billig gewesen.
    »Die ist zu schön.«
    »Nein, Daddy!«, sagte Melinda. »Nicht schön genug.Wir hoffen nur, dass sie passt.«
    Ich nahm sie aus der Schachtel und hielt sie hoch. Das Publikum ließ ein anerkennendes Oooh hören. Melinda und Ric wechselten einen zufriedenen Blick, und Pam - die der Überzeugung war, Lin habe irgendwie nie genug Zuneigung oder Anerkennung von mir erfahren (womit sie vermutlich richtig lag) - bedachte mich mit einem wirklich strahlenden Blick. Dann setzte ich die Baskenmütze auf. Sie saß perfekt. Melinda griff danach, rückte sie etwas zurecht, wandte sich dem Publikum zu, wies mit beiden Handflächen auf mich und sagte: »Voici mon père, ce magnifique artiste!« In den donnernden Applaus mischten sich Bravorufe. Ilse küsste mich. Sie lachte und weinte gleichzeitig. Ich erinnere mich an die weiße Verwundbarkeit ihres Halses und die Berührung ihrer Lippen dicht über meinem Unterkiefer.
    Ich stand im Mittelpunkt, und ich hatte meine Familie um mich. Es gab Lichterglanz und Champagner und Musik. Das war vor vier Jahren, am Abend des 15. April zwischen 19.45 und 20 Uhr, als die Schatten auf der Palm Avenue leicht bläulich zu werden begannen. Dies ist die Erinnerung, die ich mir bewahrt habe.
     
     
     
     
     
    II Ich führte sie herum, und Tom und Bozie und die anderen aus Minnesota folgten uns als Tross. Viele der Anwesenden waren vielleicht zum ersten Mal in einer Galerie, aber sie waren höflich genug, um uns Platz zu machen.
    Melinda blieb eine ganze Minute vor Sonnenuntergang mit Sophora stehen, dann wandte sie sich fast vorwurfsvoll an mich: »Wenn du das schon immer konntest, Dad, wieso hast du dann dreißig Jahre deines Lebens damit vergeudet, Banken und Bürogebäude zu bauen?«
    »Melinda Jean!«, sagte Pam, aber geistesabwesend. Sie sah zum Hauptraum hinüber, in dem der Zyklus Mädchen mit Schiff hing.
    »Es stimmt aber«, sagte Melinda. »Oder etwa nicht?«
    »Schätzchen, ich hab’s nicht gewusst.«
    »Wie kann man etwas so Großes in sich haben und nichts davon wissen?«, fragte sie scharf.
    Darauf wusste ich keine Antwort, aber Alice Aucoin rettete mich. »Edgar, Dario lässt fragen, ob Sie für ein paar Minuten in Jimmys Büro kommen könnten? Ich begleite Ihre Familie inzwischen in den Hauptraum, und Sie können dort wieder zu ihr stoßen.«
    »Okay... was wollen sie denn?«
    »Keine Sorge, sie lächeln alle«, sagte sie ihrerseits lächelnd.
    »Geh nur, Edgar«, sagte Pam. Und zu Alice: »Ich bin es gewohnt, dass er weggerufen wird. Als wir noch verheiratet waren, war das unser Lebensstil.«
    »Dad, was bedeutet dieser kleine rote Punkt oben am Rahmen?«, fragte Ilse.
    »Dass das Bild verkauft ist, meine Liebe«, sagte Alice.
    Bevor ich mich in Bewegung setzte, sah ich rasch zu Sonnenuntergang mit Sophora hinüber... und tatsächlich klebte in der rechten oberen Ecke des Bilderrahmens ein kleiner roter Punkt. Das war gut - es bewies immerhin, dass das Publikum nicht nur aus Gaffern bestand, die sich von der Neuheit eines einarmigen Klecksers hatten anlocken lassen -, aber ich spürte trotzdem einen kleinen Stich und fragte mich, ob diese Empfindung normal war. Nur konnte ich das nicht beurteilen. Ich kannte keine anderen Künstler, die ich hätte fragen können.
     
     
     
     
     
     
    III Bei Dario und Jimmy Yoshida im Büro war ein dritter Mann, den ich nicht kannte. Dario stellte ihn

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