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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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helle Spitze verengt war, die ich aus den frühen Tagen meiner eigenen Firma kannte, als es bei jedem Gebäude (eigentlich bei jedem Angebot) um alles oder nichts ging. Und ich erinnere mich, dass ich irgendwann noch einmal den Stift zwischen die Zähne nahm, um mir den nicht mehr vorhandenen Arm kratzen zu können; ich vergaß immer, dass ich diesen Körperteil verloren hatte. War ich abgelenkt und trug irgendetwas in der Linken, streckte ich manchmal die Rechte aus, um eine Tür zu öffnen. Amputierte vergessen, das ist alles. Ihr Verstand vergisst, und während sie genesen, lässt ihr Körper das zu.
    Woran ich mich am besten erinnere, wenn ich an diesen Abend zurückdenke, ist das wundervoll selige Glücksgefühl, drei oder vier Minuten lang tatsächlich einen Blitzstrahl in einer Flasche eingefangen zu haben. Unterdessen hatte der Raum begonnen, schummerig zu werden; die Schatten schienen über den rosenfarbenen Teppichboden auf das verdämmernde Rechteck des Panoramafensters zuzuschwimmen. Obwohl das letzte Licht auf meine Staffelei fiel, konnte ich nicht genau erkennen, was ich geschaffen hatte. Ich stand auf, hinkte um das Laufband herum zum Lichtschalter neben der Tür und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Dann ging ich zurück, drehte die Staffelei zu mir her und hielt den Atem an.
    Die Sophora-Halskette schien über dem Horizont aufzuragen wie die Tentakel eines Seeungeheuers, das groß genug war, um einen Supertanker zu verschlingen. Die einzelne gelbe Blüte hätte das Auge eines Außerirdischen sein können. Noch wichtiger erschien mir, dass sie dem Sonnenuntergang irgendwie die Wahrheit seiner gewöhnlichen Das-mache-ich-jeden-Abend-Schönheit zurückgegeben hatte.
    Dieses Bild stellte ich beiseite. Dann ging ich hinunter, schob ein Brathähnchen-Dinner von Hungry Man in die Mikrowelle und verspeiste es bis hinunter zum Boden der Schachtel.
     
     
     
     
     
     
    V Am folgenden Abend säumte ich den Sonnenuntergang mit Bündeln von Hexengras, und das durchs Grün leuchtende Orange verwandelte den Horizont in einen Waldbrand. Wieder einen Abend später versuchte ich’s mit Palmen, aber das taugte nichts, das war ein weiteres Klischee, ich konnte beinahe Hula-Mädchen sehen und Ukulelen klimpern hören. Am folgenden Abend stellte ich eine große alte Schneckenmuschel so auf den Horizont, dass der Sonnenuntergang sie umflammte wie eine Korona, und das Ergebnis war - wenigstens für mich - fast unerträglich gruselig. Diese Zeichnung stellte ich mit der Bildseite an die Wand, weil ich glaubte, sie werde am nächsten Tag ihre Magie eingebüßt haben, aber das hatte sie nicht. Zumindest für mich nicht.
    Ich lichtete das Bild mit meiner Digitalkamera ab und verschickte es als E-Mail-Anhang. Daraus entwickelte sich der folgende Dialog, den ich ausdruckte und in einer Klarsichthülle aufbewahrte:
    EFree19 an KamenDoc
10.14 Uhr
9. Dezember
     
     
    Kamen: Ich habe Ihnen erzählt, dass ich wieder zeichne.
    Das ist Ihre Schuld, deshalb müssen Sie sich wenigstens das angehängte Bild ansehen und mir Ihre Meinung dazu sagen. Die Aussicht ist die von meinem hiesigen Haus aus. Nehmen Sie keine Rücksicht auf meine Gefühle.
    Edgar
     
     
    KamenDoc an EFree19
12.09 Uhr
9. Dezember
     
    Edgar, ich denke, Ihr Zustand bessert sich. Sogar SEHR. Kamen
    PS: Das Bild ist wirklich erstaunlich. Wie ein unbekannter Dalí. Sie haben ganz offensichtlich etwas gefunden. Wie groß ist es?
     
    EFree19 an KamenDoc
13.13 Uhr
9. Dezember
     
     
    Weiß ich noch nicht. Womöglich groß.
    EF
     
     
    KamenDoc an EFree19
13.22 Uhr
9. Dezember
     
    Dann BEUTEN SIE’S AUS.
    Kamen
     
    Als Jack zwei Tage später vorbeikam, um zu fragen, ob er mich irgendwo hinfahren solle, erklärte ich ihm, ich wolle in eine Buchhandlung, um ein Buch über Salman Dalís Werk zu kaufen.
    Jack lachte. »Ich glaube, du meinst Salvador Dalí«, sagte er. »Außer du denkst an den Kerl, der das Buch geschrieben hat, wegen dem er solche Schwierigkeiten bekommen hat. Mir fällt nur gerade der Titel nicht ein.«
    »Die satanischen Verse«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. Der Verstand ist ein komischer Affe, nicht wahr?
    Als ich mit meinem Bildband über Dalí zurückkam - er hatte selbst mit meiner Kundenkarte von Barnes & Noble schwindelerregende hundertneunzehn Dollar gekostet, nur gut, dass ich bei der Scheidung ein paar Millionen für mich abgezweigt hatte -, blinkte auf meinem Anrufbeantworter die Anzeige NACHRICHT EMPFANGEN. Der

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