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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nannte und dann als Smiley unterschrieb? Ich glaubte es nicht. Das mochte unfair sein, aber nein... ich hielt es für sehr unwahrscheinlich. Trotzdem hatte ich gefunden, was ich gesucht hatte. Nicht einen, sondern beide. Ich drehte das Foto wieder um, schloss die Augen und tat so, als ob ich ihre Kodachrome-Gestalten mit meiner rechten Hand berührte. Nur fühlte es sich nicht so an, als würde ich nur so tun als ob; aber das brauche ich Ihnen wohl nicht mehr zu erzählen.
    Einige Zeit später - die exakte Dauer kann ich nicht angeben - steckte ich ihr Foto in die Plastikhülle zurück und vergrub ihre Geldbörse in ungefähr der Tiefe unter Papiertaschentüchern und Kosmetikartikeln, in der ich sie gefunden hatte. Dann stellte ich die Tasche auf den Couchtisch zurück und ging in mein Schlafzimmer, um Reba, meine Wutmanagementpuppe, zu holen.Als ich ins Little Pink hinaufhinkte, trug ich sie zwischen Armstumpf und Körper eingeklemmt. Ich meine gesagt zu haben: »Ich werde Monica Seles aus dir machen«, als ich Reba vors Fenster setzte, aber es kann genauso gut Monica Goldstein gewesen sein; wenn’s um Erinnerungen geht, mogeln wir alle. Das Evangelium nach Wireman.
    An die meisten Ereignisse auf Duma Key erinnere ich mich deutlicher, als ich möchte, aber dieser spezielle Nachmittag erscheint mir sehr vage. Ich weiß, dass ich in hektischer Raserei zeichnete, wobei das wahnsinnig machende Jucken in meinem nicht existenten rechten Arm völlig verschwand; ich weiß nicht , bin mir aber fast sicher, dass der rötliche Nebel, der mein Sehvermögen damals beeinträchtigte und dichter wurde, wenn ich müde war, sich vorübergehend auflöste.
    Ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand dauerte. Ziemlich lange, vermute ich. Jedenfalls so lange, dass ich erschöpft und am Verhungern war, als ich aufgehört hatte.
    Ich ging nach unten und schlang im frostigen Licht der Kühlschrankbeleuchtung Frühstücksfleisch in mich hinein. Ich machte mir kein richtiges Sandwich, weil Ilse nicht merken sollte, dass ich normal essen konnte. Sie sollte weiter glauben, dass verdorbene Mayonnaise der Übeltäter gewesen war. So würden wir keine Zeit damit vergeuden müssen, nach anderen Erklärungen zu fahnden.
    Keine der anderen Erklärungen, die mir einfielen, waren rational.
    Nachdem ich eine halbe Packung Salami in Scheiben gegessen und mit ungefähr einem halben Liter süßem Eistee hinuntergespült hatte, ging ich in mein Schlafzimmer, legte mich hin und sank in einen bleiernen Schlaf.
     
     
     
     
     
     
    XV Sonnenuntergänge.
    Manchmal kommt es mir so vor, als seien meine deutlichsten Erinnerungen an Duma Key die an orangerote Abendhimmel, die unten ausbluten und oben von Grün zu Schwarz ausbleichen. Als ich an jenem Abend aufwachte, ging eben ein weiterer Tag glorreich unter. Steif und mit verzerrtem Gesicht (die ersten zehn Minuten waren immer die schlimmsten) stampfte ich an meiner Krücke in den großen Wohnraum hinaus. Die Tür von Ilses Zimmer stand offen, und ihr Bett war leer.
    »Ilse?«, rief ich.
    Einen Augenblick lang kam keine Antwort. Dann hörte ich ihre Stimme von oben. »Daddy? Heiliger Strohsack, warst du das? Wann hast du das denn gemacht?«
    Alle Gedanken an meine Schmerzen verflogen. Ich hastete ins Little Pink hinauf, so rasch ich konnte, und versuchte, mich unterwegs daran zu erinnern, was ich gezeichnet hatte. Was es auch war... jedenfalls hatte ich mich nicht bemüht, es irgendwie zu verstecken. Wenn es nun etwas wirklich Schlimmes war? Wenn ich zum Beispiel auf die blendende Idee gekommen war, eine Kreuzigungsszene zu produzieren, mit dem Hummingbird-Gospelsänger am Kreuz?
    Ilse hatte sich so vor meiner Staffelei postiert, dass ich nicht sehen konnte, wovor sie stand. Ihr Körper verdeckte meine Zeichnung. Das einzige Licht in dem Raum kam von diesem blutroten Sonnenuntergang; selbst wenn sie neben der Staffelei gestanden hätte, wäre mein Zeichenblock im blendend hellen Gegenlicht nur ein schwarzes Rechteck gewesen.
    Als ich Licht machte, konnte ich nur hoffen, nichts getan zu haben, was meine Tochter erschreckte, die diese weite Reise auf sich genommen hatte, um sich zu vergewissern, dass mit mir alles in Ordnung war. Ihr Tonfall hatte mir keinen Hinweis gegeben. »Ilse?«
    Sie wandte sich mir zu. Ihr Gesichtsausdruck war eher verwirrt als verärgert. »Wann hast du das hier gezeichnet?«
    »Nun...«, sagte ich. »Tritt ein bisschen zur Seite, okay?«
    »Spielt dein Gedächtnis dir wieder Streiche?

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