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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihrem Meer aus Runzeln und ihrem …
    »Daddy, war das eine Pistole? « Ilse starrte mit weit aufgerissenen Augen in den Rückspiegel. »Hatte diese alte Lady eine Pistole? «
    Der Wagen driftete ab, und ich sah eine reale Chance, dass wir die hintere Ecke der Haziendamauer rammten. Ich griff ins Steuer und nahm eine Kurskorrektur vor. »Ich denke schon. Jedenfalls so eine Art. Pass auf, wo du hinfährst, Schatz. Auf dieser Straße gibt’s nicht viel Straße.«
    Sie sah wieder nach vorn. Wir waren durch hellen Sonnenschein gefahren, aber der endete mit der Mauer der Hazienda. »Was meinst du mit ›so eine Art‹?«
    »Sie hat ausgesehen wie... ich weiß nicht, wie eine Armbrustpistole. Oder so was. Vielleicht schießt sie damit auf Schlangen.«
    »Gott sei Dank hat sie gelächelt«, sagte Ilse. »Und es war ein echtes Lächeln, nicht wahr?«
    Ich nickte. »Allerdings.«
    Die Hazienda war das letzte Haus am freien Nordende von Duma Key. Dahinter schwenkte die Straße landeinwärts, und die Vegetation drängte auf eine Weise heran, die ich erst interessant, dann unheimlich, schließlich beengend fand. Das Grün ragte mindestens vier Meter hoch auf, und die runden Blätter waren mit einem dunklen Zinnoberrot gestreift, das wie angetrocknetes Blut aussah.
    »Was ist dieses Zeug, Daddy?«
    »Seetraube. Die grüne Pflanze mit den gelben Blüten heißt Wedelia. Sie wächst überall. Dazwischen steht auch Rhododendron. Die meisten Bäume sind bloß Karibikkiefern, denke ich, obwohl...«
    Sie nahm Gas weg, bis wir nur noch krochen, deutete nach links und verrenkte sich dabei den Hals, um durch die Ecke der Windschutzscheibe nach oben sehen zu können. »Das sind irgendwelche Palmen. Und sieh nur … gleich dort oben...«
    Die Straße führte noch tiefer ins Innere der Insel, und hier sahen die Baumstämme, die sie flankierten, wie knotige graue Seilbündel aus. Ihre Wurzeln hatten den Asphalt aufgewölbt. Wir würden noch darüber hinwegkommen, schätzte ich, aber Autos, die diese Strecke in ein paar Jahren befuhren? Ausgeschlossen.
    »Würgfeigen«, sagte ich.
    »Hübscher Name, klingt nach Alfred Hitchcock. Und die wachsen einfach wild?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    Sie ließ den Chevy vorsichtig über die Wurzeln unter dem Asphalt holpern und fuhr weiter.Wir fuhren kaum noch fünf Meilen die Stunde. Aus den Massen von Seetraube und Rhododendron ragten weitere Würgfeigen auf. Dieser hohe Bewuchs tauchte die Straße in tiefen Schatten. Auf beiden Seiten war es unmöglich, auch nur wenige Meter weit zu sehen. Bis auf einen gelegentlichen blauen Keil oder einen zufälligen Sonnenstrahl war selbst der Himmel verschwunden. Und nun erblickten wir immer öfter kleine Bestände von Sägegras und zähem, wächsernem Fiedelholz, die geradewegs aus Rissen im Asphalt wuchsen.
    Mein Arm begann zu jucken. Der eine, der nicht da war. Ich griff geistesabwesend danach, um ihn mir zu kratzen, und erwischte wie immer nur meine noch empfindlichen Rippen. Gleichzeitig begann meine linke Kopfseite zu jucken. Dort konnte ich mich kratzen, was ich auch tat.
    »Daddy?«
    »Mir fehlt nichts, Schatz. Warum hältst du?«
    »Weil... ich mich selbst nicht so gut fühle.«
    Was man, wie ich jetzt erkannte, ihr deutlich ansah. Ihr Teint war fast so weiß wie der Klecks Zinkoxid auf ihrer Nase. »Ilse? Was ist los?«
    »Mein Magen rebelliert. Ich fange an, ernstlich an dem Thunfischsalat zu zweifeln, den ich zum Lunch gemacht habe.« Sie bedachte mich mit einem matten Ich-bekomme-eine-Grippe-Lächeln. »Und ich frage mich auch, wie ich uns wieder von hier wegbringen soll.«
    Keine schlechte Frage. Die Seetrauben schienen plötzlich näher heranzudrängen, und die ineinander verwobenen Palmen über uns wirkten dichter. Ich merkte, dass ich das Grün um uns herum riechen konnte: ein kahmiger Geruch, der tief in meiner Luftröhre lebendig zu werden schien. Und wieso auch nicht? Schließlich stammte er von lebenden Wesen, die uns von allen Seiten umzingelten. Und von oben.
    »Dad?«
    Das Jucken war schlimmer geworden. Es war rot, dieses Jucken, so rot, wie der Gestank in meiner Nase und meinem Rachen grün war. Dieses Jucken, das man spürte, wenn man in der Klemme steckte.
    »Tut mir leid, Daddy, aber ich fürchte, ich muss mich übergeben.«
    Sie öffnete die Tür des Autos und beugte sich hinaus, wobei sie sich mit einem Halm am Lenkrad festhielt, und dann hörte ich, wie sie sich erbrach.
    Mein rechtes Auge überzog sich rot, und ich dachte: Ich

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