Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
einer Bundestagswahl einstellte – mit einer unhaltbaren Begründung. Über drei Jahre lang war Kirch nicht ein einziges Mal verhört worden geschweige denn, dass er in Haft gekommen wäre.
Als der Skandal öffentlich wurde, erklärte ein Oberstaatsanwalt, Leo Kirch sei zu diesem Zeitpunkt (das heißt vor der Bundestagswahl) auf die Justiz zugekommen, um seine Sicht der Dinge darzulegen und um das Verfahren abzukürzen. Sicherlich hatte er das nicht getan, um möglichst rasch verurteilt zu werden. Er konnte gut einschätzen, dass Bundeskanzler Helmut Kohl und Edmund Stoiber sehr an der Unterstützung durch seine Fernsehsender im Wahlkampf gelegen war. Und er sollte sich nicht verrechnen.
Erst recht skandalös ist der Gegensatz zu einem anderen Fall, der publik wurde. Da zeigte die Staatsanwaltschaft nämlich ein sehr penibles Rechtsbewusstsein. Gegen einen Häftling, der wegen Diebstahls einsaß und in der Haft den Stempel von einer Briefmarke im Wert von 55 Cent wegradierte, um sie wieder verwenden zu können, leitete sie ein Strafverfahren ein. Wortreich begründete ein Augsburger Oberstaatsanwalt gegenüber der Presse, dass der Täter vorbestraft sei und die Justiz deswegen scharf vorgehen müsse. Der Gesetzgeber habe eben entschieden, dass auch Bagatelldelikte verfolgt werden müssten. Und so hieß es in der Anklageschrift: »Die Staatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten. Ich erhebe die öffentliche Klage …« Der Oberstaatsanwalt erklärte, dass der Häftling wegen seines Versuchs mit einigen Monaten Gefängnis zusätzlich zu rechnen habe. Nicht nur der Laie staunt, wie subtil die Unterschiede sind.
Der Komponist von Türkheim
Als im Frühjahr 2010 immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern durch Geistliche und Pädagogen bekannt wurden, schlug Justizministerin Beate Merk publikumswirksam eine Verdoppelung der Verjährungsfrist für solche Delikte auf 20 Jahre vor. Wie erwähnt, schloss sich Ministerpräsident Seehofer dieser Forderung sofort an.
Im merkwürdigen Gegensatz zu diesem engagierten Eintreten für eine konsequente Ahndung steht das staatsanwaltschaftliche Verhalten in einem aufsehenerregenden Missbrauchsfall, über den der Spiegel im Jahr 2004 – damals war Beate Merk bereits Justizministerin – unter der Überschrift »Das Schweigen von Türkheim« berichtete. Es ging um den gegen einen gefeierten Musicalkomponisten gerichteten Vorwurf, er habe 28 Jahre lang während seiner Tätigkeit als Musiklehrer Mädchen sexuell missbraucht. Dem Spiegel zufolge erklärte die Polizei nach einer Hausdurchsuchung, man habe zahlreiche selbst gedrehte Videobänder gefunden »mit eindeutig pornografischem Inhalt«. Der Musiklehrer, der den Missbrauch der Mädchen »an mehreren Tatorten« gefilmt habe, wurde verhaftet. Der Polizeichef von Krumbach erklärte, er werde die Ermittlungen mit Hochdruck führen.
Von einer Bestrafung des Musiklehrers wurde indessen nichts bekannt. Hing dies damit zusammen, dass er eine Hymne für Edmund Stoiber komponiert hatte, die bei der Feier zu dessen 60 . Geburtstag in der Staatskanzlei aufgeführt wurde? Beweise dafür gibt es nicht – ein Einwohner von Türkheim, der mich anrief, führte dies jedenfalls darauf zurück. Eine Anfrage meinerseits bei einem der an der Aufdeckung der Affäre Beteiligten bestätigte, es sei ihm unerklärlich, dass es zu keinem Strafprozess gekommen sei. Obwohl die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben hätte und obwohl 1900 Zeugenaussagen vorgelegen hätten, sei das Verfahren eingestellt worden. Obwohl einige der Delikte bereits verjährt seien, könne das wohl kaum für sämtliche gelten.
Wie verträgt sich das nun mit der Forderung der Justizministerin Merk, die Verjährungsfristen für sexuelle Missbrauchsfälle zu verlängern?
Der Informant berichtete mir außerdem, dass er mit einem der Polizeibeamten gesprochen habe, die damals mit enormem Arbeitsaufwand ermittelt hätten. Dieser habe ihm gesagt, er und seine Kollegen seien völlig frustriert und demotiviert. Der Fall bedarf öffentlicher Aufklärung. Die Justizministerin ist zur Rede zu stellen.
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Der fränkische CSU -Landtagsabgeordnete Manfred Weiß war einst Richter am Landgericht Nürnberg-Fürth. Im Jahr 1999 schaffte er es, Justizminister zu werden, als Mann des Vertrauens von Ministerpräsident Edmund Stoiber, der zuvor
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