Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
die Herrschaften mit ihren Dienstboten verkehren. Farbig oder nicht, es sollte mich nicht wundern, wenn dort jeder Krämer, der sich etwas Personal leisten kann, nach Sonnenuntergang in deren Betten zu finden ist, von den sogenannten Adeligen ganz zu schweigen, die auch nur emporgekommene Krämer sind.«
Lady Holderness hatte nicht bemerkt, daß sich Augusta und ihr Cousin Frederick Howard, die um Erlaubnis bitten wollten, den Raum zu verlassen, den Damen genähert hatten. Augusta war bei dem Wort »Martinique« aufmerksam geworden und fragte nun verwundert: »Ist es denn falsch, sich nach Sonnenuntergang in den Betten der Dienerschaft zu befinden? Als Lord Leveson-Gower uns besucht hat, war er auch am hellichten Tag dort.«
Tödliche Stille herrschte. Leveson-Gower war Lady Carlisles Bruder, der die Howards bei ihrem letzten Aufenthalt auf Lady Holderness’ Landgut begleitet hatte. Lady Carlisle starrte nun entsetzt auf das kleine braunhaarige Mädchen herab. Lady Holderness hatte ihren Fächer fallen lassen. Augusta wurde sich bewußt, daß etwas nicht stimmen konnte, und zupfte an dem ausladenden Satinkleid ihrer Großmutter. Diese rührte sich nicht.
Endlich versuchte Lord Carlisle, der den Disput der Damen bisher nur mit stummem Lächeln begleitet hatte, die peinliche Situation zu überbrücken: »Nun, Blut setzt sich durch. Das ist genau die Sorte Bemerkung, die Jack auch gemacht hätte.«
Lady Holderness warf ihm einen verärgerten Blick zu. Sie liebte es nicht, an Captain John Byron, der Lord Carlisles Vetter gewesen war, erinnert zu werden. Sie sorgte nach Möglichkeit dafür, daß er vor ihrer Enkelin nicht erwähnt wurde. Sie wandte ihre Augen wieder Augusta zu und erklärte strafend: »Du warst sehr unartig, mein Kind. Geh bitte sofort in dein Zimmer.«
Augusta öffnete den Mund, um zu widersprechen, denn sie wußte nicht, was sie getan hatte. Aber ihre sonst so freundliche Großmutter wirkte mit einem Mal fast furchteinflößend, und so drehte sie sich um, schaute noch einmal hilfesuchend zurück und hastete dann hinaus.
Lady Holderness nahm diesen Fauxpas zum Anlaß, ihr Enkelkind ernsthaft zu tadeln. Außerdem sah sie die Notwendigkeit, sich nach einer Gouvernante umzusehen, da Augusta nach diesem Vorfall in Gesellschaft außergewöhnlich schweigsam wurde. Die Wahl fiel auf die Tochter einer französischen Emigrantenfamilie, jung, munter und etwas kokett, aber sehr gutherzig.
Mademoiselle Berger erfüllte in jeder Hinsicht ihre Aufgabe, nur in einer nicht. Sie wandte ihre Gunst zunächst freizügig dem Verwalter zu, war aber auch nicht traurig, als dieser seine Vorliebe für die Köchin entdeckte. »Schlechter Geschmack, ma petite«, sagte sie zu Augusta und tröstete sich mit Augustas ältestem Halbbruder, der Lady Holderness zu diesem Zeitpunkt gerade besuchte.
Augustas jüngerer Bruder und seine Mutter bekamen nie eine Einladung von Lady Holderness, auch sprach Catherine Byron niemals den Wunsch aus, ihre Stieftochter wiederzusehen. Lady Holderness bemerkte nur einmal spitzfindig: »Diese Frau ist kein Umgang für uns.« Catherine, nie durch Diplomatie irgendwelcher Art behindert, drückte sich ihrem Sohn gegenüber wesentlich deutlicher aus: »Verdammt will ich sein, wenn ich in meinem Leben noch eine einzige Zeile an die Holderness richte - und Johns Brut geht dich nichts an!«
Als Catherines Sohn zehn Jahre alt war, starb der fünfte Lord Byron, der Onkel des »tollen Jack«. Dieser Todesfall hätte keine weitere Bedeutung gehabt, wenn nicht das Schicksal vorher den Sohn und den Enkel des fünften Lords dahingerafft hätte.
Beide wurden mehr betrauert als der fünfte Lord Byron, der von seiner Familie als »der böse Lord« bezeichnet worden war und sich vornehmlich mit der Dressur von Ratten und Heuschrecken beschäftigt hatte.
Doch da »der böse Lord« keine direkten Erben hinterließ, fiel der Titel nebst Schloß und Gut an »den kleinen Jungen in Aberdeen«, wie er im Testament genannt wurde - George Gordon, sechster Lord Byron. Catherine hielt dies für die Gerechtigkeit des Himmels. Sie hatte es immer als besondere Heimtücke empfunden, daß ihr hübscher intelligenter Sohn, den sie ebenso maßlos verwöhnte, wie sie ihn züchtigte, mit einem lahmen rechten Fuß geschlagen war, Seit er gehen konnte, kaufte sie alle möglichen Dehnungs-, Streckungs- und Pressungsmaschine, um diese Behinderung zu beheben. Sie bestand sogar darauf, daß er sie während seiner Unterrichtsstunden
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