Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
Familienskandal. Glaubst du, daß Libby nur unsere Halbschwester war?« Emily schwieg lange Zeit. Dann entgegnete sie: »Nein, das glaube ich nicht.« Er war verblüfft. »Wieso?« Auf Emilys eingefallenem, erschöpftem Gesicht breitete sich ein winziges Lächeln aus.
»Ich kann es nicht mehr beweisen, da Libby tot ist. Aber erinnerst du dich an das Muttermal an ihrem Handgelenk?« Ihr Bruder nickte verwirrt, und Emily fuhr fort? »Nun, letzten Sommer verkauften Mamée und ich einige alte Familienporträts. Eines davon zeigte General Leigh, Papas Vater, der überhaupt nicht mit den Byrons verwandt ist. Er hatte dieses Muttermal ebenfalls.« Frederick brauchte einige Zeit, um sich zu fassen. »Du meinst… und das hat Mamée die ganze Zeit gewußt?« Emily nickte.
»Aber warum hat sie es nie gesagt? Tante Annabella hatte nicht einen Penny um Libby gegeben, wenn sie nicht überzeugt gewesen wäre, daß sie die Tochter ihres Gatten war - ihrer Rache wäre die Spitze genommen gewesen. Und Libby… ich habe sie ja nicht mehr häufig gesehen, aber sie brüstete sich geradezu damit.«
»Eben deswegen«, bemerkte Emily trocken, »hat Mamée nichts gesagt. Keine von beiden hatte ihr geglaubt. Natürlich hätte sie es beweisen können, so wie ich eben. Nur, wozu? Mamée wußte, daß sie nicht für Libby sorgen konnte, und, wie du eben richtig festgestellt hast, daß Lady Byron die Tochter von George Leigh gleichgültig gewesen wäre. Hätte Marone Tante Annabella um Geld für mich oder Georgiana gebeten, sie hätte nicht das Geringste bekommen. Also schwieg sie, ließ Lady Byron ihre großartige Rache verfolgen und brachte sie so dazu, für ihre Tochter zu sorgen. Das war ihre Art, unser Goldstück von Tante zu überlisten.«
»Ich erinnere mich«, sagte Frederick nach einer Weile, »wie Lady Byron Mamée immer in der Öffentlichkeit beschrieben hat: eine sehr schwache und törichte Frau.« Emily zuckte die Achseln und machte sich wieder an Augustas Briefe. Dabei fiel ihr ein Blatt auf den Boden, das Frederick aufhob und betrachtete. Es war ein Gedicht mit dem Titel »Epistel an Augusta«, Frederick las aus irgendeinem Grund zuerst die Schlußstrophe, und ihm kam es vor, als ob damit alles gesagt war, was es zu sagen gab.
In deiner Brust, du Teure, eingeschreint,
Du in der meinen, sind wir ungetrennt;
Wir sind und waren stets trotz jedem Feind
Ein Seelenpaar, das keine Wandlung kennt;
Gleichviel, ob nah, ob fern, sind wir vereint Von Lebens Anfang bis zu seinem End,
Und naht der Tod drum, trotzt auch ihm das Band, Das unser Leben o so fest umwand.
Nachwort
Die in diesem Buch dargestellten Personen, ihre Ansichten und Handlungen sind authentisch. Da es sich jedoch um einen Roman und keine wissenschaftliche Biographie handelt, fehlt die unbedingte Korrektheit und Verläßlichkeit. Ich habe mir die Freiheit jedes Romanciers genommen und Fiktives mit Historischem verschmolzen, um vor allem zwei Menschen darzustellen, die, jeder auf seine Art, zu den Ungewöhnlichsten ihrer Zeit gehörten.
Die zitierten Briefe entstammen den im Folgenden angeführten Quellen. Diejenigen, die nicht von Byron stammen, wurden von mir übersetzt. Für Byrons Briefe verwendete ich größtenteils die 1985 erschienene deutsche Ausgabe. Nicht enthalten in dieser Ausgabe sind die frühe Korrespondenz mit Augusta vor ihrer Heirat, zwei in England an Thomas Moore gerichtete Bemerkungen, die zwei Briefe an Annabella nach der Trennung sowie der erste wiedergegebene Brief an Augusta aus der Schweiz, die ebenfalls von mir übersetzt wurden. Einige wenige Ausdrücke der deutschen Brief-Ausgabe habe ich durch eine wörtlichere oder im Romankontext sinnvollere Entsprechung ersetzt.
Bei dem Schreiben an Lady Melbourne vom 28. September 1813 handelt es sich in Wirklichkeit um die Zusammenstellung zweier Briefe, nämlich derjenigen vom 13. Januar und vom 30.
April 1814.
Alle Zitate aus Byrons Werken sind der in der Bibliographie genannten Gesamtausgabe entnommen, mit Ausnahme des Gedichtes »Stanzen für Musik« (aus »Lord Byron. Ein Lesebuch.«)
Über Byron und viele seiner Zeitgenossen (wie etwa Shelley) gibt es selbstverständlich eine Flut von Sekundärliteratur. Ich führe hier nur an, was ich tatsächlich während meiner Arbeit an diesem Roman benutzt habe, möchte aber zwei Bücher besonders hervorheben, denen ich sehr viel schulde. Es handelt sich um »Lord Byron’s Wife« und »Lord Byron’s Family« von Malcolm Elwin. Elwin
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