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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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sich ein neues Auto zu kaufen. Sie hatte sowieso schon lange vorgehabt, ihre alte Rostlaube abzustoßen.
    »Eins finde ich allerdings schon komisch«, teilte sie Barb ein paar Wochen später am Telefon mit.
    »Was denn?«
    »Na ja, er scheint Arthur neuerdings gar nicht mehr so gerne zu besuchen. Weihnachten war da echt eine Ausnahme.«
    »Meinst du Robert?«
    »Ich weiß, ich weiß. Er war immer ganz wild darauf, Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Aber das hat sich geändert, glaube ich. Weißt du, was er gesagt hat, nachdem die Scheidung durch war? Sind wir jetzt geschieden, Mom?, hat er gesagt und dabei gelächelt. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Und was willst du jetzt machen?«
    »Wenn es nach mir ginge, könnte er tun und lassen, was er will. Von mir aus auch zu Hause bleiben, statt ihn zu besuchen. Aber du kennst ja Arthur, der wird ganz sicher auf seinem Recht pochen.«
    »Zieht er immer noch so komisch die Knie vor die Brust?«
    Sie seufzte. »Manchmal schon. Leider.«
    »Und … macht er noch ins Bett?«
    »Das auch. Genau wie das Stottern und die Alpträume und die ganzen anderen Sachen. Da hat sich nichts geändert.«
    »Vielleicht liegt es an der Scheidung. Vielleicht ist er wütend auf Arthur, weil er die Familie auseinandergerissen hat. Vielen Kindern geht das so. Es könnte auch sein, dass es bei Arthur niemanden gibt, mit dem er spielen kann.«
    »Darüber beklagt er sich auch ständig. Alle Kinder in Arthurs Nachbarschaft sind viel älter als er.«
    »Dann ist das vielleicht das Problem.«
    »Keine Ahnung. Aber ich fühle mich beschissen, wenn ich ihn gegen seinen Willen losschicken muss, obwohl er gar nicht will – nur weil das Gericht es so bestimmt hat. Ich finde, Robert sollte dabei auch ein Wörtchen mitreden.«
    »Kinder werden eben nie gefragt. Sie werden immer noch mehr oder weniger wie Eigentum behandelt, aber wem sag ich das.«
    »Klar. Trotzdem fühle ich mich jedes Mal, als würde ich einem Hund einen Tritt verpassen. Ich fühle mich echt scheiße dabei.«
    Sie hörte ein Auto die Auffahrt heraufkommen.
    »Da kommt Arthur, Barb. Ich muss Schluss machen.«
    »Okay. Ruf mich bald wieder an.«
    »Mach ich.«
    Sie legte auf und rief nach Robert, der oben war.
    »Robert! Dein Vater ist da!«
    Arthur trug die helle Jacke aus Schurwolle, die sie ihm vorletzte Weihnachten geschenkt hatte. Vielleicht sollte das einen leisen Vorwurf darstellen, weil sie sich dieses Jahr nichts geschenkt hatten und sich auch nie wieder etwas schenken würden. Doch wenn er ihr damit ein schlechtes Gewissen einjagen wollte, hatte er sich geschnitten.
    Er klopfte sich vor der Tür den Schnee von den Stiefeln. Dann drehte er sich um, und sie sah, dass er sich nach Cowboymanier einen Ledergurt umgeschnallt hatte, in dem ein Revolver steckte.
    »Wozu zur Hölle soll das Ding gut sein, Arthur?«
    »Was?«
    »Du kommst deinen Sohn abholen und trägst eine Schusswaffe?«
    »Ich habe das Geld aus dem Restaurant dabei. Es liegt draußen im Auto. Außerdem habe ich einen Waffenschein, Liddy.«
    »Ich weiß, dass du einen Waffenschein hast. Mach das bloß nicht nochmal, Arthur. Nie wieder.«
    »Ach, Himmelherrgott nochmal!«
    »Ich mein’s ernst.«
    Sie rief abermals nach Robert. Sie gab sich alle Mühe, den Zorn aus ihrer Stimme zu verbannen, aber es fiel ihr schwer.
    Endlich kam er herunter. Er hatte eine kleine Schachtel mit seinen Plastikspielfiguren und ein paar Ausgaben von Cracked und Mad dabei, trug Stiefel und Jacke und schien abreisefertig zu sein. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Er schien dieses Mal gar nicht so widerwillig mitzugehen. Was ihr wiederum ein besseres Gefühl bescherte.
    »Wann seid ihr wieder hier?«
    »Ich bringe ihn pünktlich zum Essen zurück.«
    »Gut.«
    Sie bückte sich, um Robert einen Kuss zu geben und ihn in den Arm zu nehmen. Schon bald, dachte sie, würde sie sich dazu nicht mehr bücken müssen. So schnell wie er wuchs, würde sie sich dann bestimmt auf die Zehenspitzen stellen müssen, um ihn umarmen zu können.
    »Wiedersehen, Schatz. Viel Spaß.«
    »Wiedersehen, Mom.« Er gab ihren Kuss zurück. Seine Lippen waren immer noch feucht und weich. Babylippen.
    »Arthur?«
    Er drehte sich zu ihr um.
    »Steck die Waffe weg, bitte.«
    Er nickte und sie verschwanden zusammen im sanft fallenden Schnee.
    Ellsworth, New Hampshire
    Als Junge war er häufig an diesen Ort gekommen, ein Grundstück, das an das seiner Eltern grenzte. Der Hügel fiel zu einem gewundenen, abgelegenen Fluss hin ab,

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