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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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in dem man im Sommer Flusskrebse fangen konnte und der sich sogar jetzt, mitten im Winter, wie eine Blutader seinen Weg durch die Hügel bahnte und der gefrierenden Eishaut trotzte, die sich über ihm schließen wollte.
    Wenn man am Fluss vorbei das Ufer hinaufkletterte, stand man auf einer Ebene aus hohem, braunem Gras und vereinzelten niedrigen Sträuchern. Er war hier oft auf der Jagd gewesen – Wachteln vor allem und manchmal auch Kaninchen. Eigentlich war das verboten. Aber der alte Wingerten war schon damals nicht sehr oft hierhergekommen. Jetzt war er tot, und seine Töchter lagen sich wegen des Grundstücks in den Haaren. Es interessierte also keinen Menschen, was er hier draußen trieb.
    »Still jetzt«, sagte er zu dem Jungen.
    Sie waren beide nach der Kletterpartie über die Flussufer außer Atem. Dem Jungen war kalt und er zitterte. Doch Arthur bemerkte, dass er genauso aufgeregt war wie er selbst. Welches Kind wäre das nicht gewesen? Allein hier draußen mit seinem Vater und seiner nagelneuem AK-47? Das war wie Cowboy- und Indianerspielen. Nur besser. Weil das Gewehr nämlich echt war und selbst so zurückhaltende Jungs wie Robert von seiner gewaltigen Durchschlagskraft einfach fasziniert sein mussten. Scheiße, der Kleine hatte die Rambo-Filme doch gesehen, oder etwa nicht?
    Aber sie mussten sich über eine Stunde lang langsam und vorsichtig durch Gras und Gestrüpp bewegen, bevor sie etwas entdeckten. Bis dahin war nicht zu übersehen, dass Robert das Spiel zunehmend langweilte. Die Kids heutzutage haben eine geradezu lächerlich kleine Aufmerksamkeitsspanne, dachte Arthur. Er war als Junge den ganzen Tag mit seiner erbärmlichen kleinen .22er unterm Arm unterwegs gewesen. Die hatte so viel Durchschlagskraft wie eine Stechmücke gehabt. Trotzdem hatte er seine .22er geliebt. Auf der Jagd brauchte man Geduld. Geduld und Willensstärke.
    Sein Junge besaß offensichtlich nichts von beidem.
    Er hörte Robert hinter sich ächzen. Als würde Arthur ihm gerade das Leben zur Hölle machen.
    Der Junge zeigte keine Spur von Dankbarkeit.
    Wenigstens machte er keinen Lärm. Trampelte nicht durchs Gelände und scheuchte das Wild auf, wie viele andere Kids es bestimmt getan hätten. Wenigstens dazu taugte er.
    Als das Kaninchen keine vier Fuß vor ihnen aus dem Gestrüpp geschossen kam, war Arthur sofort schussbereit. Er hatte seine Waffe auf Automatik gestellt und bestrich den Boden in einem kurzen, engen Halbkreis mit Kugeln, die die kahlen, dürren Sträucher explodieren ließen, sie regelrecht pulverisierten, und auch das Kaninchen in Stücke rissen – bis nichts weiter übrig blieb als ein nasser, pelziger, rotbrauner Klumpen im Schnee.
    Dem Tier fehlte ein Ohr.
    Ein Bein war abgetrennt worden.
    »Himmel! Himmel!«, rief Robert hinter ihm.
    Der Junge war völlig geplättet und wollte seinen Augen nicht trauen.
    Arthur stieß einen Jubelschrei aus, lachte und hob das Kaninchen in die Höhe, damit sie es sich ansehen konnten. Robert hielt die Jagd jetzt sicher nicht mehr für langweilig. Ganz bestimmt nicht. Jetzt nicht mehr.
    »Hast du das gesehen? Verdammt, wir sind fast drüber gestolpert! Meistens braucht man ein paar Hunde, wenn man einen von den Kameraden hier erwischen will. Wir hatten echt Glück!«
    Himmel! Oh Gott! Mehr brachte der Junge nicht raus.
    Dabei schüttelte er den Kopf und machte riesengroße Augen, als hätte er gerade ein Gespenst gesehen.
    Und in dem Moment ging Arthur auf, dass das Gesicht seines Sohnes nicht bloß Verblüffung verriet, obwohl sich auch diese Empfindung darin abzeichnete.
    Unerklärlicherweise sah er dort auch – Angst.
    Plymouth, New Hampshire
    Gegen Viertel vor sieben wurde sie langsam sauer. Essenszeit war normalerweise um sechs, spätestens um halb sieben. Obwohl sich das Brathuhn problemlos warmhalten ließ, konnte sie den Reis erst machen, wenn Robert heimkam. Das Gemüse musste sie auch noch kochen. Was sie jedoch zur Weißglut brachte, war die Tatsache, dass Arthur ihn zur vereinbarten Zeit abzuliefern hatte und nicht dann, wenn es ihm in den Kram passte.
    Um kurz vor sieben hörte sie den Wagen vorfahren, eine Tür zuschlagen und das Auto sofort wieder von der Auffahrt rollen. Es war vielleicht ganz gut so, dass Arthur sich sofort wieder aus dem Staub machte. Sie war kurz davor gewesen, nach draußen zu stürmen und ihm eine Szene zu machen, was Robert jedoch sicher noch mehr verunsichert hätte.
    Er kam rein, knallte die Haustür hinter sich zu und rannte

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