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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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ihr weh. Das Knie blutete sogar. War ihm das etwa egal?
    »Ziehe ich etwa ein dummes Kind groß, Lydia? Sieht ganz so aus.«
    Ihre Mutter machte das Fliegengitter hinter ihm auf.
    »Russell …«
    Aber es war, als wäre ihre Mutter gar nicht da.
    »Hör mir zu. Du bist kein Junge, Liddy. Jungs machen Sachen, die manchmal gefährlich und manchmal ziemlich dumm sind. Man könnte sagen, das gehört bei Jungs eben dazu. So wachsen sie auf. Aber für dich gehört es sich nicht, die Sachen zu machen, die die Jungs machen. Verstehst du das? Oder ist das zu schwierig für dich?«
    »Nein.«
    Sie dachte, sie würde wieder zu weinen anfangen. Sie fragte sich, ob das Baby in Mamas Bauch wohl ein Junge werden würde.
    »Nein was?«
    »Nein, Sir.«
    Seine blassblauen Augen durchbohrten sie.
    »Also schön. Ich weiß nicht, weshalb ich dir das überhaupt erklären muss.« Er schüttelte den Kopf. »Ehrlich. Manchmal frage ich mich, wo zur Hölle du eigentlich hergekommen bist.« Er drehte sich um und setzte sich in den Schaukelstuhl.
    »Dein Abendessen ist kalt«, sagte er. »Und es wird verdammt nochmal auch kalt bleiben. Jetzt geh nach oben und mach dich sauber, junge Dame. Und deine Klamotten wirst du auch selbst waschen. Hast du mich verstanden?«
    »Ja, Sir.«
    Sie zog ihre schlammigen Gummistiefel aus und stellte sie neben die Veranda. Daddy nahm einen Schluck von seinem Bier, sagte nichts und sah sie auch nicht an. Wenigstens würde er sie dieses Mal nicht schlagen. Ihre Mutter öffnete ihr die Tür und trat zur Seite, als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufstieg.
    Sie setzte sich aufs Bett. Dann fiel ihr ein, dass sie schmutzig und das Bett sauber war. Sie stand auf und wischte den Dreck von der Bettdecke, humpelte den Flur zum Badezimmer hinunter und besah sich im Spiegel.
    Das Gesicht, das ihr entgegenblickte, war schmutzig und von Tränenspuren überzogen, die Augen blickten traurig und betrübt. Ihr Pferdeschwanz war total verfilzt, Kletten, Zweige und Laub hingen darin.
    Sie fühlte sich genauso einsam wie in der Hütte.
    Fast.
    Sie hatte nur ein bisschen weniger Angst, das war alles.
    Ellsworth, New Hampshire ∙ August 1962
    Der Junge lag auf dem dunklen, stickigen Kriechboden unter der Treppe und lauschte. Seine Mutter stand direkt über ihm und sprach mit Officer Duggan.
    Er konnte alles genau hören.
    »Ich werde keine vierundzwanzig Stunden warten, Ralph Duggan«, sagte seine Mutter gerade. »Das werde ich ganz sicher nicht. Nicht, wenn du wie jetzt direkt vor mir stehst.«
    »Ruth …«
    »Komm mir nicht mit ›Ruth‹. Ich hab dich schon gekannt, als du so alt warst wie Arthur, oder etwa nicht? Ja, allerdings. Doch, hab ich. Da kannst du Gift drauf nehmen. Und jetzt sag du mir – hätte deine Mama etwa vierundzwanzig Stunden gewartet? Was glaubst du?«
    Arthur konnte Officer Duggan seufzen hören. Er wusste, wie es war, wenn man mit seiner Mutter zu reden versuchte. Er lag im Dunkeln und bewegte sich keinen Zentimeter.
    Er starrte durch das hölzerne Gitterwerk und dann durch die wuchernden Sträucher und das dürre Gras. Obwohl langsam der Abend dämmerte, konnte er von hier aus fast den ganzen Hügel bis zur Brücke und zum Biberteich überblicken. Er schlich sich manchmal dorthin, wenn alle schliefen.
    Der Junge konnte alles beobachten, aber sie konnten ihn nicht sehen. Es war hier unten viel zu dunkel, und bis sich die Augen darauf eingestellt hatten, dauerte es eine Weile. Seine Mutter hatte es schon vergeblich versucht.
    »Ruth, das Problem ist, dass wir im Moment keinen einzigen Mann entbehren können. Das verdammte Buschfeuer hält uns alle auf Trab. Die Leute kommen sogar den ganzen Weg von Compton hierher, um uns zu helfen, Polizisten und Freiwillige. Aber bei dem Wind und weil das Land dermaßen trocken ist … ach verflucht, Sie können den Rauch doch von hier aus riechen. Wie’s aussieht, wird uns diese Sache noch die halbe Nacht beschäftigen.«
    »Das Buschfeuer ist mir egal. Mein Junge nicht.«
    »Wollen Sie, dass Ihr Haus in Flammen aufgeht, Ruth? Könnte passieren, wenn wir dieses verdammte Feuer nicht aufhalten.«
    »Das Feuer ist noch eine halbe Meile entfernt.«
    »Das stimmt. Und der Wind weht genau in Ihre Richtung. Das heißt, es trifft zuerst die Wingertens und dann Sie. Harry, reden Sie mal mir ihr, ja?«
    Dem Jungen ging erst jetzt auf, dass sein Vater auch dabeistand. Sein Vater konnte sich, wenn er es darauf anlegte, so lautlos bewegen wie ein Apache.
    Außer wenn er betrunken

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