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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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sagte er.
    »Verzeihung?«
    »Also, wie ist es gelaufen? Mit dem Jungen? Wie kam er Ihnen vor?«
    »Durcheinander«, antwortete sie. »Nervös. Ängstlich.«
    »Ängstlich weswegen?«
    »Wollen Sie meine Meinung hören?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, er hat Angst, dass er unter diesen Umständen nie wieder nach Hause darf. Und ich glaube, er hat Angst vor seinem Vater.«
    Burke nickte.
    »Ich will ganz offen sein, Miss Stone. Das überrascht mich nicht. Dieses Videoband … ich habe mir das jetzt ein halbes Dutzend Mal angesehen … die Gespräche mit dem Jungen da drauf sind beide ziemlich überzeugend.«
    »Auf meinem Tonband nimmt er alles wieder zurück, Euer Ehren.«
    »Ja, das habe ich gehört. Nachdem er seinen Vater gesehen hat.«
    »Mrs. Strawn zufolge war er mit ihm allein. Mindestens für ein oder zwei Minuten.«
    »Bedauerlich. Ist er auf Ihrem Tonband genauso überzeugend? Objektiv betrachtet?«
    »Es gibt da ein Problem.«
    »Und das wäre?«
    »Er will nicht sagen, weshalb er die Psychologen beim ersten Mal angeblich angelogen hat. Warum er seinen Vater zuerst beschuldigen wollte und dann wieder nicht. Für mich ergibt das alles keinen Sinn.«
    »Könnte die Mutter nachgeholfen haben?«
    »Das bezweifle ich, Euer Ehren. Das bezweifle ich sogar sehr. Ich glaube, dass er beim ersten Mal die Wahrheit gesagt hat.«
    »Ich bin geneigt, Ihnen zuzustimmen, ungeachtet dessen, was ich vom Verhalten der Mutter in diesem Fall halte …«
    »Euer Ehren …«
    Er fiel ihr ins Wort. »Es ist verständlich, dass wir in diesem Punkt nicht übereinstimmen, Miss Stone. Aber darum geht es nicht. Es geht jetzt vor allem um den Vater.«
    »Ja, Euer Ehren.«
    Er seufzte. »Ich werde mir Ihr Band anhören. Danke, dass Sie es mir zu so später Stunde noch vorbeigebracht haben. Wie mir scheint, verlangen uns Fälle wie dieser sehr viel ab, wenn wir uns bemühen, das Wohl des Kindes dabei im Auge zu behalten und weiteren Schaden von ihm abzuwenden.« Er lächelte reumütig. »Da sind Überstunden ja wohl das mindeste. Auf jeden Fall vielen Dank, Miss Stone. Wir sehen uns morgen.«
    »Danke, Euer Ehren.«
    Während sie hinausging und leise die Tür hinter sich schloss, hörte sie aus dem Richterzimmer ihre eigene Stimme blechern und dünn vom Band kommen.
    Immerhin war der Mann bereit, seine Hausaufgaben zu machen.
    Ihr wurde bewusst, dass sie ungeachtet dessen, was Richter Burke über die Glaubwürdigkeit der Aufzeichnung gesagt hatte, immer noch Angst um Robert Danse hatte. Es war gar nicht so einfach, weiteren Schaden von ihm abzuwenden.
    Wo ihm doch schon so viel Schaden zugefügt worden war.
    Nicht zum ersten Mal dachte sie, dass Kindesmissbrauch so etwas wie ein Parasit war, der sich erst einmal tief und qualvoll eingrub, so dass man die Wunden deutlich erkennen konnte, wenn man nur genau hinsah. Doch mit der Zeit schienen die Symptome manchmal fast zu verschwinden. Das Heimtückische an Parasiten war, dass man sich an sie gewöhnte, auch wenn der Schmerz keineswegs nachließ. Während der Übeltäter immer fetter wurde, verhungerte der Wirt langsam und auf grauenvolle Weise. Beides wurde zur Routine. Bestandteil der inneren Gesetzmäßigkeit des Lebens.
    Und je mehr der Fremdkörper wuchs, desto mehr Hunger hatte er. Und am Ende – falls er überhaupt jemals ans Licht kam – verließ er seinen ausgezehrten, nutzlos gewordenen Wirt, um so gut wie möglich über die Runden zu kommen, bis er jene heimsuchen konnte, die sonst noch mit ihm zu tun hatten. Die Familie. Freunde. Ehepartner.
    Dann befiel er auch diese Menschen.
    Er nistete sich selbst an Gerichten ein. Befiel Rechtsanwälte und Richter.
    Der Parasit dachte nicht. Er fraß.
    Niemand konnte ihm entkommen.
    Das hatte mit Vernunft nichts zu tun. Dieser Organismus besaß keine nennenswerte Intelligenz.
    Nur Hunger.
    Es lag an den Sozialeinrichtungen und den Gerichten, sich dem Problem mit Vernunft zu nähern. Aber das war, als würde man einer lange unbehandelten, entzündeten Wunde mit warmen Wickeln beikommen wollen – dabei waren diese Institutionen doch selbst längst von dem Parasiten befallen und wurden von ihm ausgesaugt. Manche von ihnen, wie sie selbst und Richter Burke, immer wieder und wieder.
    Es veränderte sie. Zum Guten oder zum Schlechten.
    Sie fragte sich, ob sie dieser Aufgabe wirklich gewachsen war.
    Und welche Entscheidung der Richter morgen treffen würde.
    Sie ging über die dunkle Straße zu ihrem Wagen hinüber. Eine Stunde Fahrtzeit bis nach

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