Wahnsinns Liebe
sehen.
Niemandem hat sie verraten, daß sie heute hierhergehen wird, nicht einmal dem Kindermädchen, das jetzt bei Trudi zu Hause sitzt. Aber diese Heimlichkeit steigert noch die Vorfreude auf die Begegnung mit ihm, die zweite. Er sei von einem Dämon getrieben und brenne innerlich lichterloh, sagt jeder, der ihn gesehen hat. Und einer, von dem sie viel hält, hat geschrieben: »Er malte seine Bilder nicht, er stieß sie aus … Es war schauerlich anzusehen, wie er malte; ein Exzeß, bei dem die Farbe wie Blut herumspritzte.«
Bei dem Wort Exzeß allein schon fühlt Mathilde, wie Erregung ihren Körper durchläuft, ihn von der Mitte her erhitzt und beunruhigt. Exzeß. Sie hat das Wort wie ein Sesam-öffne-dich immer wieder vor sich hingesprochen die ganze letzte Woche über, und es büßte nichts von seiner Wirkung ein. Exzeß – was da bereits im Mund geschieht, wenn man das Wort nur ausspricht. Und dieser Mann ist selbst der Inbegriff des Exzessiven. »Er malt sich selbst in den lodernden Wolken, in denen tausend Sonnen der Erde Zerstörung drohen, in den entsetzt zum Himmel aufschreienden Bäumen …« Das hatte immerhin Meier-Gräfe geschrieben, sonst ein Mann des gemäßigten Tons.
Jetzt steht sie da, an der besagten Adresse am Graben, den neuen Räumlichkeiten der Galerie Miethke. Sie brennt noch mehr darauf, ihn zu sehen, als vor drei Jahren. Seit der Impressionisten-Ausstellung in der |50| Secession damals, wo immerhin fünf Landschaften von ihm gezeigt wurden, ist sie begierig, mehr von diesem van Gogh kennenzulernen. Und diesmal sind ausschließlich seine Bilder ausgestellt, viel heftigere noch als damals, heißt es. Ganz Wien redet darüber.
Mathilde ist die Stufen zu den Ausstellungsräumen hinaufgegangen, aber vor der offenen Tür bleibt sie abrupt stehen wie vor einer Mauer. Was sie dort drinnen sieht, sind erst mal nicht Bilder, sondern Menschen. Frauen vor allem, elegant vom Hut bis zum Absatz. Sogar die Mädchen von der Galerie sehen aus wie einem Modejournal entsprungen in ihren schwarzweißen strengen Kleidern, den schlichten haargenau gelegten Frisuren, dem wenigen außergewöhnlichen Schmuck.
Mathilde steht reglos da. Rechts und links drängeln sich Besucher an ihr vorbei, als wäre sie ein störender Pfosten.
Gut, es war ihr Fehler, das beste Kleid anzuziehen. Keines könnte ihr hier peinlicher sein. Wie eine Hausfrau, die direkt aus der Küche kommt, fühlt sie sich, als trüge sie noch den Geruch von Zwiebeln im Haar und Reste von Petersilie an den Fingern. Eine Frau, die zu begehren keinem Mann in den Sinn käme. Nein, das Kleid ist sauber, gestärkt und gebügelt, aber es hat eben, verglichen mit dem, was die Stilpriesterinnen hier tragen, die Eleganz einer Küchenschürze. Mathilde steht und schaut und sackt wie ihr schneenasses Haar in sich zusammen. Wie konnte sie nur auf die Idee verfallen, hierherzukommen? Wo doch bekannt ist, daß die neue Galerie Miethke ein Tempel des strengen Geschmacks, und alle, die dort walten, Priester des Purismus sind. Sie, die ihr Gehäuse eigentlich nur verläßt, um zum Greißler zu gehen, auf den Markt oder |51| in eines von jenen Konzerten, in denen die anderen Frauen auch nicht wesentlich besser angezogen sind als sie. Schon die Oper meidet sie umsichtig, wohl wissend, daß das Mondäne sie ausschlösse. Sie schlingt die Hände fest ineinander, als würden die damit unsichtbar.
»Frau Schönberg?« sagt jemand von links. Neben ihr steht ein großer schlanker Mann in einem gut geschnittenen Tweedanzug, um den Stehkragen eine schmale dunkle Krawatte geschlungen. Sie senkt den Blick. Die Schuhe glänzen. Seine Schuhe, natürlich. Es sind teure Schuhe. Doch, natürlich hat sie ihn sofort erkannt, auch wenn er deutlich sanfter wirkt mit den längeren, gewellten Haaren als mit dem kahlgeschorenen Schädel: Es ist der, den sie den Verrückten nennen. »Frau Schönberg?« hört sie noch mal wie von weit her. Sie schaut hoch in sein Gesicht. Die leicht schielenden Augen sind freundlich. »Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht an mich.«
»Doch, doch«, stammelt Mathilde, als er sie mit unerwarteter Behutsamkeit am Arm nimmt und hineinführt in die Galerie.
Weißgekalkte Wände, direkt unter der Decke Schienen mit gehämmerten Eisenknöpfen, an denen die Bilder hängen.
Sie bleibt stehen. »Heute ist der letzte Tag«, sagt er. »Ich war schon zwölfmal hier. Aber für Sie ist es die letzte Gelegenheit.«
Er läßt ihren Arm los, gibt ihr, die völlig
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