Wahnsinns Liebe
Ton eines Lehrers, wofür er sich in derselben Sekunde geniert.
»Schauen Sie sich nur mal an, wie hier die Frauen verklärt werden und gleichzeitig benutzt und in den Dreck gezogen. ›Eure Kaffeehäuser‹, sagen die in Berlin, ›die sind ja etwas Wunderbares. Das sind ja richtige Brutstätten für Kultur.‹ Die wissen ja nicht, daß dort vor allem Klatsch ausgebrütet wird und daß dort fast nur Männer rumsitzen. Die einzigen weiblichen Wesen, die sie zulassen, sind Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Huren. Eine Frau, die nichts davon ist, die nimmt doch am Leben gar nicht teil. Die stirbt, ohne daß sie richtig gelebt hätte.«
Gerstl versucht, gleichgültig auszusehen, weil er Trudis Kontrollblick spürt. »Ob Sie sich da nicht verrennen? Es gibt doch eine Bertha Zuckerkandl, die sich erfolgreich als Journalistin betätigt, oder die Genia |90| Schwarzwald mit ihrer erstklassigen Mädchenschule, wo Mädchen von so großen Leuten wie Ihrem Mann Komposition lernen können.«
»Und? Die haben eben zwei fortschrittliche Männer, die eingesehen haben, daß mit den Frauen umgegangen wird wie mit ihnen als Juden.«
»Was meinen Sie damit?«
»Die Männer, die jüdisch geboren sind, sprühen sich doch alle mit dem christlichen Parfum ein, damit in den Salons keiner sagt: ‚Du stinkst nach Jidd.‹ Mahler hat das katholische Parfum gewählt, mein Mann das protestantische. Und mein Bruder damals auch, weil er ohne Parfum niemals hätte werden können, was er jetzt ist: ein echter Kapellmeister an der Hofoper.«
Mathilde steht auf und holt von der Kredenz gegenüber drei Gläser und einen Krug, aus dem sie Limonade einschenkt. »Und wir Frauen müssen uns dann mit parfümieren. Gefragt werden wir nicht. Weder von den Eltern noch von den Brüdern, noch von den Männern.«
Sie schaut auf ihren Bauch. »So dick war er damals nicht, aber schon sichtbar rund, als ich ausgetreten bin aus der israelitischen Kultusgemeinde, eine Woche vor der Heirat mit Arnold. Weil er es protestantisch wollte.«
Sein Vater, sagt Gerstl arbeitend, sei vor drei Jahren zum römisch-katholischen Glauben konvertiert. Lächerlich finde er das bei einem alten Mann. Doch in dem Fall sei die Mutter treibende Kraft gewesen. »Vermutlich ist das aber eher selten.« Er will versöhnlich klingen, doch irritiert und gebannt sieht er zu, wie Mathilde, die ruhige, schweigsame Frau, sich entrüstet und erregt. Wie ihr gleichgültiges Fleisch zu vibrieren beginnt. Und die Gaze von ihren Augen gerissen wird.
|91| »Ach, die Stadt ist doch voll von Frauenverächtern und Frauenhassern. Nehmen Sie nur mal Ihren Freund Weininger. Kaum zieht einer mit den übelsten Tiraden über das weibliche Geschlecht her, reißen sie ihm das Buch aus der Hand.«
»Postum«, sagt Gerstl. »Außerdem hat der Weininger die Frauen nicht gehaßt.«
»Sondern?«
»Er hatte Angst vor ihnen. Weil er Frauen mit Blut gleichgesetzt hat und panische Angst hatte vor Blut. Vor der Defloration, vor der Monatsblutung, vor der Geburt. Gehaßt – gehaßt hat er vor allem sich selber.«
Mathilde trinkt ihr Glas Limonade in langen hörbaren Schlucken. »Und warum muß er dann aus seinen Problemen gleich eine Philosophie basteln? Wissen Sie, ich habe das Gefühl, Männer fangen an, die Welt erklären zu wollen, weil sie sich die Frauen nicht erklären können.«
Gerstl spürt, daß es ihn anstrengt, Mathilde zuzuhören und gleichzeitig zu beobachten, was mit ihr geschieht. »Weininger war ein armer Mensch. ›Liebe ist Mord‹, hat er gesagt.«
»Was soll das heißen?«
»Na, er war sich eben sicher, daß die Liebe eine zerstörerische Energie besitzt. Daß sie vernichtet, was sie begehrt …«
»Was für ein Blödsinn.« Heftig, wütend fast stößt Mathilde das hervor. Und als würde sie plötzlich gewahr, daß sie außer sich geraten ist, holt sie sich zurück, richtet das Haar, streicht das Kleid glatt, verhängt die Augen wieder. Ihre Stimme ist nun leise und bedeckt wie gewohnt. »Ich denke, wir sollten weitermachen.« Und dann, erschrocken, als fiele ihr nun erst wieder |92| ein, daß ihre Tochter neben ihr sitzt: »Wenn du noch kannst, Trudi.«
Das Kind nickt. Gerstl verzieht sich wieder hinter die Staffelei.
»Ich denke«, sagt er, »der Weininger ist an einem gescheitert: Für den waren Erotik und Sexualität, ich könnte auch sagen: Liebe und Sexualität, absolut nicht vereinbar. Und er wurde aus Not polemisch, nur aus Not.«
»Aber ist das mit der Unvereinbarkeit
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